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Im Vorstadthaus

■ Die Berlin Playactors spielen Albees „A Delicate Balance“

Als Edward Albee, der Autor des definitiven Ehestreit-Dramas „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“, das im deutschen Sprachraum nur selten gespielte Stück „A Delicate Balance“ schrieb, war ihm selbst die Kehrtwendung bewußt, die er vollzog: „Es ist immer leicht, lärmende Extrovertierte wie Martha und George zu zeichnen als Leute wie Agnes und Tobias, deren Problem darin besteht, Probleme zu vermeiden.“

Zwar wird auch in dem 1966 uraufgeführten und später mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Redeschwall-Drama auf Deubel komm raus gesoffen und geistreich parliert, doch bleiben die Beteiligten mit wenigen Ausnahmemomenten vornehm kühl und sofort bereit, ihre kleinen Ausbrüche mit aller Politesse, der die englische Sprache fähig ist, zurückzunehmen.

Das allmählich alternde Ehepaar Agnes und Tobias schläft schon lange nicht mehr miteinander: beide haben sich in verschiedenen Schlafzimmern verbarrikadiert, um der Angst vor einer Fehlgeburt – ein Sohn starb bald nach der Geburt – aus dem Wege zu gehen. Julia, die Tochter, kehrt dagegen häufiger als erträglich an den elterlichen Herd zurück, wo sie sich von ihren Heiratsunfällen – gerade geht die vierte Ehe zu Ende – erholt. Agnes' versoffene Schwester Claire sorgt mit ihren zynischen Reden dafür, daß Agnes und die anderen Hausmitglieder mit angespannten Nerven darauf bedacht bleiben müssen, daß sich an dem Zustand der negierten Ängste nichts ändert.

Der traumatische Zusammenbruch des mühsam aufrechterhaltenen Psychokorsetts vollzieht sich mit dem überraschenden Auftauchen der „besten Freunde“, Edna und Harry, die um befremdliches Asyl bitten, da sie bei sich zu Hause eine unbegreifliche Angst ergriffen hat – eine namenlose Lebensangst, die bei Agnes und Tobias dank der rituellen Negationsstrategien immer wieder unter den Teppich gekehrt wird.

Natürlich kennt das Drama auch emotionale Ausfälle und drastisch ausgeführte Vorwurfsarien, doch die vermaledeiten Zustände bekommen grundsätzlich keine Chance, in Handlung aufgelöst zu werden. Am Ende – die besten Freunde verlassen wieder das Haus – kehren alle in ihre gewohnten Positionen zurück, nichts hat sich geändert, nichts wird sich ändern.

Regisseur Rik Maverick läßt seine Berlin Playactors mit Inbrunst die mit boulevardesken Elementen durchsetzte Gesellschaftskomödie herausspielen: Die Anlaufstelle der Seelen ist immer wieder eine voluminöse Bar in der Ecke des Raumes, die keine zwei Minuten unfrequentiert bleibt. Die Schauspieler reden im gefälligen Englisch mit Glas in der Hand. Tatsächlich gelingt es so, unter der Haube eleganter und amüsanter Konversation, das Mickrige und Skrupulöse der Figuren messerscharf in Glas zu ritzen.

Josephine Larsen und Priscilla Be geben ein Geschwisterpaar, das sich aufs allerfeinste anekeln kann, und Louisa Bradshaw als heiratswütige Tochter Julia ist es vergönnt, den hysterischen Ausbruch artgerecht in Szene setzen zu dürfen. Bruna Ferrari als quasselnder Ehemann Tobias gerät dagegen allzu leicht ins ausgestellte Klischeelachen und darf im dritten Akt nur noch als Pyjama-Ehemann seine Feigheit demonstrieren. Die Eindringlinge werden von Lisa Askew und Kevin Davenport mit penetranter Arroganz ausstaffiert, so daß sie ganz zum abstrakten Symbol der Unruhestifter im glattgebügelten Abendkleid aufsteigen.

Die fast dreistündige Aufführung wäre vielleicht nicht so ansehbar, gäbe es nicht das Bühnenbild von Thomas Fitzpatrick, das mit einem wahren Geniestreich in den winzigen Theaterraum der „Freunde der italienischen Oper“, die Atmosphäre eines großen, gutsituierten Vorstadthauses gezaubert hat. Ein für die Freunde der englischen Sprache allemal verpflichtender Abend. baal

„A Delicate Balance: Bis 14. Juni, Do.–Mo., 20.30 Uhr bei den „Freunden der Italienischen Oper“, Fidicinstraße 40

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