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Unerschütterliche Urgewalt

Der Schweizer Tony Rominger steht kurz vor dem Gewinn der Spanien-Rundfahrt, doch sein Landsmann Alex Zülle läßt nicht locker  ■ Von Matti Lieske

Berlin (taz) – Anfang der fünfziger Jahre kannte in der Schweiz jedes Kind die Namen von Ferdinand Kübler und Hugo Koblet. Ganz Helvetia lag den beiden Radfahrern zu Füßen, die zweimal hintereinander die Tour de France gewannen – Kübler 1950, Koblet 1951 – und zu den größten Stars ihrer Epoche gehörten. Mehr als vierzig Jahre dauerte es, bis wieder zwei Schweizer im Gewerbe der Pedaltreter für Furore sorgten: Tony Rominger, der alte Kämpe, und Alex Zülle, der neue Stern. Doch die Zeiten haben sich geändert. Rominger ist nach langer leidvoller Karriere alles andere als ein Volksheld in der Schweiz. „In Madrid kann ich nicht auf die Straße gehen, ohne daß mich die Leute ansprechen“, sagt er, „in Basel bin ich ein absoluter Unbekannter.“

Das könnte sich ändern, wenn er es schafft, als erster Fahrer seit 1942 zum zweiten Mal hintereinander die Spanien-Rundfahrt zu gewinnen, und vor allem, wenn er sein Vorhaben verwirklicht, bei der diesjährigen Tour de France wenigstens unter die ersten drei zu kommen. Und Rominger hat auch für die Zeit danach große Pläne. Läuft es gut bei der Tour, will er möglicherweise im November den zehn Jahre alten Stundenweltrekord des Italieners Francesco Moser angreifen, und für das nächste Jahr sieht sein minuziöser Karriereplan nichts Geringeres als den Gewinn der Weltmeisterschaft vor.

Der 32jährige befindet sich auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn, nachdem er lange Jahre nur im zweiten Glied fahren durfte. Zuerst tummelte er sich in einer Schweizer Mannschaft, die so schwach war, daß sie sich nicht für die großen Rundfahrten qualifizieren konnte, dann fungierte er als Edel-Wasserträger im Team des Italieners Gianni Bugno. „Bei „Clas“ ist er jetzt der absolute Chef und prompt stellen sich die Erfolge ein. „Er ist ein Crack“, gibt José Miguel Echávarri, Chef von Miguel Induráins „Banesto“-Team, zu, fürchtet sich aber in Hinblick auf die Tour nicht allzusehr vor dem Schweizer: „Die Tour ist eine andere Sache. Ich mache mir keine Sorgen, solange sich Induráin gut vorbereitet.“

Wer heutzutage bei den großen Touren vorne mitmischen will, muß in erster Linie als Zeitfahrer brillieren, aber auch in den Bergen in der Lage sein, Etappen zu gewinnen. Bei der Spanien-Rundfahrt bewies Rominger in diesem Jahr erneut, daß er diese Voraussetzungen voll erfüllt. Scheinbar mühelos hielt er das emsige „Amaya“-Team um Laudelino Cubino, Jesús Montoya und Oliverio Rincon, „nicht anderes als eine Horde Bergziegen“ (Sport Zürich), in Schach und stampfte mit unerschütterlicher Urgewalt die Berge hinauf. „Er fährt einen bis zwei Zacken größer als wir, da hat man keine Chance“, sagt Alex Zülle, ließ sich aber durch diese Erkenntnis keineswegs davon abhalten, den hartnäckigsten Verfolger seines Landsmannes zu spielen.

Zwar gelang es Rominger, 33 Sekunden Vorsprung herauszufahren, aber was er bei den anschließenden brutalen Bergankünften auch tat, um den lästigen Schatten abzuhängen, Zülle klebte an seinem Hinterrad. Er solle sich um niemanden außer Rominger kümmern, lautete die Devise des „ONCE“-Teamchefs Manolo Saíz und Zülle gehorchte aufs Wort. „Taktisch war meine Aufgabe einfach“, sagt er, „schwierig war's nur, weil Rominger so stark fuhr“. Der 24jährige Jungstar, der durchaus daran denkt, „in zwei, drei oder vier Jahren“ die Nachfolge eines Miguel Induráin antreten zu können, hat bei dieser Vuelta längst mehr erreicht, als zu erwarten war, trotzdem läßt er nicht locker. „Der Gefährlichste ist Zülle“, sagt auch Rominger, „wenn ich einen schlechten Tag habe, kann er gewinnen.“

Vor dem abschließenden Zeitfahren über 44,6 Kilometer in Santiago de Compostela am Sonntag wird es wohl beim 33 Sekunden-Vorsprung Romingers bleiben, zu wenig, um sich in der Clas- Mannschaft schon bequem zurücklehnen zu können. „Am Samstag werde ich nicht ruhig schlafen können“, orakelt Teamchef Juan Fernández.

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