: Homo homini lupus
Die sizilianische Mafia als giftige Schlange, die sich in den eigenen Schwanz beißt ■ Von Franco Foraci
Giovanni Falcone lebt. Nicht nur in den Erinnerungen der Palermitaner, die nach seiner Ermordung auf der Autobahn bei Capaci in Sizilien vor fast genau einem Jahr, am 23.Mai, einen kathartischen Prozeß durchmachten. Damals gingen sie zum ersten Mal in ihrer Geschichte zu Tausenden auf die Straße und boten dem Moloch Cosa Nostra die Stirn. „Mafiosi, schämt Euch!“ und „Danke, Falcone“ stand auf zahlreichen Transparenten zu lesen. Das „andere“, das demokratische und saubere Sizilien erhob sein Haupt. Für Sizilien waren dies unerhörte Ereignisse. Spätestens in neun Tagen wird Palermo wiedererwachen und seiner Helden gedenken.
Giovanni Falcone, die Symbolfigur im Kampf gegen das organisierte Verbrechen, lebt auch in von ihm mühsam zusammengestellten, kilometerlangen Aktenordnerreihen über die sizilianische Mafia, in jeder Untersuchung seiner Kollegen zum organisierten Verbrechen und nicht zuletzt in Büchern weiter, die seine wichtigen Erkenntnisse und würdevollen Verdienste in die Welt tragen. An deutschen Publikationen über das Mafia- Phänomen mangelt es seit den Bombenattentaten vom vergangenen Sommer kaum. Viel Sensationsheischendes ist dabei, viele Bleiwüsten, die nur eines verraten: Unkenntnis und mangelnde Sensibilität dem „Stoff“ gegenüber.
Zum Glück sind bei Ullstein und Fischer zwei aus diesem stereotypen Rahmen fallende Bücher erschienen. Das eine beschreibt den leidvollen Weg eines Einzelkämpfers, das andere bietet einen intimen Spiegel der internen Machtspiele von „Mafia-Familien“.
Mit dem Werk „Falcone“ hat Autor Vincenzo delle Donne eine nüchterne Biographie über den berühmtesten palermitanischen Untersuchungsrichter vorgelegt. Sein Buch, das im Stil eines kommentierenden Zeitungsberichts verfaßt ist, hat hohen Informationswert, weil der Leser weder gefühlsduselige Episoden verkraften muß noch mit dem Wust aus komplizierten Verstrickungen und Vernetzungen, Ereignissen und Reaktionen im dem Kampf gegen die Mafia gewidmeten Leben Falcones alleine gelassen wird.
Kein Aspekt bleibt ausgespart und unerklärt: seine ersten Erfahrungen als fleißiger und akribischer Staatsanwalt; seine „unheimlichen Begegnungen“ mit dem ersten pentito, dem reuigen Mafioso Tommaso Buscetta, der die Mauer des Schweigens durchbrach; seine historischen „Maxi-Prozesse“ gegen insgesamt über 700 Mafia- Bosse; die ihm wegen seines erfolgreichen Wirkens auch von politischer Seite ständig in den Weg gelegten Steine und die Umstände, die zu seinem gewaltsamen Tod führten. Kostprobe: „Wo immer irgendwo ein Mafioso verhaftet wurde und sich entschloß, mit der Justiz zu kooperieren, verlangte er zuallererst nach Giovanni Falcone.
[...] Kein anderer bot in den Augen der pentiti die Gewähr, korrekt mit ihren Informationen umzugehen. ,Korrekt‘ hieß, daß Falcone sich [...] auch um ihr Leben ,nach dem Verrat‘ kümmerte. Denn noch immer waren jene Hilfen nicht im Gesetz verankert, die nötig sind, um halbwegs eine spätere Existenz der ehemaligen Mafiosi zu ermöglichen. [...] “ Der Klappentext untertreibt, wenn er formuliert, Vincenzo delle Donnes Biographie sei die „eindringliche und kenntnisreiche Würdigung eines mutigen Mannes“. Sie ist mehr. Sie ist ein tadellos recherchiertes Zeitdokument auch der Ungereimtheiten italienischer Geschichte.
Nicht minder bedeutungsvoll für das bessere Verständnis jüngster italienischer Vergangenheit ist Pino Arlacchis neuestes Buch „Mafia von innen“, in dem der ehemalige Boß einer der beiden catanesischen Mafia-Familien, Don Antonino Calderone, in Ichform über sein Leben erzählt. Der Florentiner Soziologe Arlacchi ist der renommierteste Mafia-Forscher Italiens. Er trug die Bekenntnisse Calderones in gut vierzig Interview-Stunden zusammen, gab ihnen eine chronologische Logik und redigierte die Aussagen.
Calderone gilt als der wichtigste pentito der Justiz, weil er bisher der einzige ist, der sozusagen aus erster Hand über die Funktionsweise und Struktur der commissione, des obersten Ausführungsorgans der Cosa Nostra, berichten kann. Hier werden die Morde an Prominenten entschieden, und hier wird der Verteilungsschlüssel für die aus dem Drogen- und Aktiengeschäft (die Cosa Nostra hält Schätzungen des Wirtschaftsministers zufolge rund dreißig Prozent aller an der Mailänder Börse gehandelten Titel!), den Erpressungen und Massendiebstählen erwirtschafteten Gelder festgelegt. Zudem werden Streitfälle zwischen den über 300 sizilianischen Familien geschlichtet. Alles natürlich in der Theorie. Die Praxis, so Calderone, sieht gänzlich anders aus.
Das Bild der Stabilität und der Ordnung innerhalb der Familien, das in den Medien vermittelt werde, stimme nur zum Teil mit der Wirklichkeit überein. So schreibt Arlacchi in seinem Vorwort: „Die dort beschriebene ,einheitliche, vertikale, zentralisierte‘ Organisation, aufgebaut nach eisernen Regeln wie ein regelrechter ,Gegenstaat‘ und versehen mit eigenen Gerichten, Rechtsnormen, Statuten – diese Organisation wurde mir in Calderones Bericht allmählich zu etwas ganz anderem: einem verdoppelten Universum, schizophren, grauenhaft, in dem alle zur gleichen Zeit Freunde und Feinde aller sind.“
Die Existenz einer mafiainternen Demokratie mit Stimmrecht und Wahlen ist nach Calderones sehr detaillierten Berichten letztendlich nur eine Hülle, die einen diabolischen Kern verbergen soll, einen Kern, den Thomas Hobbes als Charakteristikum des Menschen bereits mit dem Ausdruck: homo homini lupus – der Mensch ist des Menschen eigener Wolf – bezeichnet hat. Übertragen auf die Mafia heißt das: Jeder Mafioso ist sich entgegen seinen Schwüren und Familienzeremonien letztendlich selbst am nächsten. Calderone zum Schluß seiner Lebensbeichte: „In der Cosa Nostra gibt es keine Sicherheit, man lebt am Rande des Abgrunds.“
Pino Arlacchi: „Mafia von innen“. Übersetzt von taz-Italien-Korrespondent Werner Raith. Fischer Verlag, 323 Seiten, 39,80 DM
Vincenzo delle Donne: „Falcone“, die Biographie. Ullstein Verlag, 215 Seiten, 38 DM
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