: Man kann alles privatisieren Von Ralf Sotscheck
In den vergangenen zwei Wochen sei ihnen kein einziger Gefangener weggelaufen, lobte das britische Innenministerium die erste private Gefangeneneskorte „Group4“. Das sei „ein beachtlicher Fortschritt“, fügte der oberste Knastbeamte Derek Lewis hinzu – zumal das Unternehmen auch immer häufiger die ihnen anvertrauten Untersuchungsgefangenen pünktlich beim Gericht abliefere. Diese erstaunliche Leistungssteigerung – im April waren ihnen noch acht Häftlinge abhanden gekommen – verdient eine Belohnung: Ab sofort darf Group4, das bisher nur für die Midlands zuständig war, auch im Nordosten Englands operieren.
„Es gab Schwierigkeiten, auf die wir gerne verzichtet hätten“, räumte der Geschäftsführer Jim Harrower am Wochenende ein. „Die ständigen Witze über uns haben uns aus der Fassung gebracht. Das war schon ziemlich peinlich.“ Besonders peinlich war wohl der Tod des Untersuchungsgefangenen Ernest Hogg in der vergangenen Woche. Hogg hatte sich per Post zwei Liter Rum und Wodka in den Wolds-Knast schicken lassen, der ebenfalls Group4 untersteht. Es gelang ihm, die hochprozentigen Getränke in den Transporter zu schmuggeln, der ihn zum Gericht in Rotherham bringen sollte. Als seine Wächter ihn ausladen wollten, war der volltrunkene Hogg hinter die Tür des Transporters gerutscht. Das Group-4-Personal machte sich jedoch nicht die Mühe, dort nachzusehen, sondern ging davon aus, daß ihnen wieder mal einer abgehauen war. Hogg erstickte, nachdem er sich übergeben hatte. – Die britische Regierung ist von der erfolgreichen privaten Knasteskorte anscheinend so begeistert, daß sie eine ganze Reihe weiterer Staatsdienste privatisieren will. Das geht aus einem Briefwechsel zwischen verschiedenen Ministerien hervor, der gestern an die Öffentlichkeit drang. So sollen Volkszählung und Artenschutzbehörde, die Erhebung wirtschaftlicher Daten und die Auszahlung der Pension, die Gefängniskantinen und sogar die Knasthunde in private Hände gegeben werden. Der Clou ist freilich der Verkauf des nationalen Polizei-Computers in Hendon nördlich von London. Das Gerät enthält nicht nur die Akten von Millionen britischer BürgerInnen, die irgendwann mal verknackt worden sind, sondern auch Details über TierschützerInnen, ZigeunerInnen, Hippies und sonstige verdächtige Gestalten. Doch damit nicht genug: Angaben über potentielle Terroristen, über Gewerkschafter, Rechtsradikale und subversive Gruppen sind ebenfalls fein säuberlich gespeichert. John Wadham von der Bürgerrechtsorganisation „Liberty“ stehen die Haare zu Berge bei dem Gedanken, daß der Computer den falschen Leuten in die Hände fallen könnte. „Wir hätten dann ein ernstes Problem“, orakelt er. Um den Polizei-Computer zu verscherbeln, muß die Regierung zuvor zwei Dutzend Gesetze ändern, von denen einige immerhin aus dem 17.Jahrhundert stammen. Der Generalsekretär der Beamtengewerkschaft, John Sheldon, sagte gestern: „Wenn das alles durchgeht, werfen die Minister damit die Basis für die parlamentarische Rechenschaftspflicht über Bord.“ Na und? Die kann man schließlich auch privatisieren: Westminster GmbH.
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