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Zurück in die Zukunft, Teil IV

Bruce Springsteen in der Berliner Waldbühne  ■ Von Thomas Groß

So kann's gehen. Als Bruce Springsteen noch als Zukunft des Rock'n'Roll gehandelt wurde, war es ein – auch journalistischerseits – gern geäußerter Wunsch, mal ein bißchen an seinem Schweißtuch schnüffeln zu dürfen. Alle fanden das irgendwie toll.

Aber da bekanntlich nichts so schnell altert wie die Zukunft, zeigt der Gitarrenhals auf den Tour-T- Shirts heute so steil nach unten, daß selbst der Spiegel davon Wind bekommen hat und, wie das so seine Art ist, eifrig einstimmt in den Chor der branchenüblichen Nach-unten-Treterei.

Sofort schäumt da natürlich Lust auf, edel, hilfreich und gut zu sein und durch gezielt affirmatives Tollfinden eine Lanze zu brechen für diesen schmächtigen Mann aus Freehold, New Jersey, den, mal ehrlich jetzt, doch jeder auch mal für 10 Minuten gut gefunden hat – damals als Teenager oder in wilden Postpubertätszeiten.

Und schon steht man mittendrin in so einem Springsteen-Konzert, wider besseres Wissen leicht verwundert, weil die Botschaft vom Niedergang hier noch gar nicht so recht angekommen zu sein scheint, im Gegenteil: totale, rückhaltlose, wunderkerzige Begeisterung in der ausverkauften Berliner Waldbühne.

Bruce spielt gerade „The River“, einen Song, in dem es darum geht, daß man es anders machen soll als die eigenen Eltern, nicht so doof und spießig sein wie die etc., und – Gänsehaut, Wahnsinn! – dazu klatschen freizeitbehemdete Leute mittleren Alters, die auch noch Kinder dabei haben, die zum Teil schon älter aussehen als meine eigenen Eltern, frenetisch Beifall. Ich meine, das muß man erstmal kapieren!

Springsteen läßt einem reichlich Zeit dazu. Langsam baut er seine Show auf, setzt auf allmähliche Steigerung, so wie man bei einem Fußballspiel ja auch nicht gleich alles hergibt – vor allem nicht, wenn man todsicher in die Verlängerung gehen muß. Überfordert wird hier keiner, der mobile Bierverkauf auf der gefährlich steil abfallenden Treppe kann anstandslos vonstatten gehen, und wenn Springsteen mal was mit Sampling macht (ja, sogar das gibt's hier!), wird garantiert ein echter Knaller nachgereicht: „Badlands“, „Lucky Town“, Klassiker wie „Many Rivers To Cross“ oder andere Wiedererkennbarkeiten. Dann der erste kleine Bühnenhopser, die erste kurze Ansprache zum Volk herab, aber alles ohne Hast, wozu auch? Daß das Religiöse nicht zu kurz kommen wird, hat er ja gleich zu Anfang bewiesen: „Darkness On The Edge Of Town“, auf der Akustischen gerissen, während die Sonne slighty hinter dem Zeltdach der Waldbühne verschwindet, um in Spandau zur Landung anzusetzen. Wenn das kein Gespür für Timing ist.

Auch was allzu Weltanschauliches betrifft, gibt Springsteen sich eher zurückhaltend. Erst gegen Ende des ersten Sets kommt ein leichtes Dribbling in dieser Richtung. „I've got a message I want you to bring“, blafft er in die Runde. Die mit Soul-Darstellern nachgerüstete All-Star-Band spielt dazu so einen Romper-Stomper-Mississipi-Delta-Blues, der Bruce Gelegenheit gibt, immer mal wieder von links nach rechts und umgekehrt über die Bühne zu schreiten, malerisch auf die Boxen zu springen und allerhand Animations- Talk vom Stapel zu lassen, bis es dann, von Chören untermalt, endlich raus ist: „Everybody needs somebody“ – man soll lieber Sex machen statt so blöder Sachen wie Krieg. Naja, es hätte schlimmer kommen können. Und überhaupt: What's so funny about peace, love and understanding?

Nee, auch wenn danach so sicher wie das Amen in der Kirche „Because The Night...“ kommen muß: Es macht keinen Spaß, auf Väterchen Springsteen rumzutrampeln; und nicht nur, weil das Wetter dazu zu gut ist – oder einige Songs noch immer nicht schlecht genug. Der 42jährige Human-Touch-Rocker ist kein geeignetes Haßobjekt, weil er bereits selbst zu sehr in die Domäne der reinen Poesie eingetreten ist. In seinem vierstündigen rituellen Konzert- Kraftakt singt er von einer versunkenen Welt amerikanischer Kleinstädte („Towns“, nie „Cities“), wo zukünftig zu schwängernde Hausfrauen als scharfe Babies in Ausgehkluft die Straße kreuzen und die letzten frei lebenden Cadillacs gesichtet wurden. Ganz schön durcheinander geht das, aber süffig. Klischees für die Ewigkeit, herübergebeamt aus einem zeitlosen Gute-Kerl-Amerika.

Daß der Mann – prosaisch betrachtet – längst Millionär und Familienvater ist, kann letztlich nur Kleingeister grämen. Wer Stil hat, weiß mit der Heiterkeit des aufgeklärten Menschen zu würdigen, wie Springsteen sich ganz am Schluß das Muscle-Shirt vom Leibe reißt, „Born to Run“ anstimmt und dazu jesusmäßig in die Knie geht.

Die Wahrheit ist nämlich: Während andere sich hemmungslos an die haarige Brust eines neuen Essentialismus ranschmeißen, ist gerade Springsteen, der vor Urzeiten als Essentialist angefangen hat, heute einer der letzten Vertreter einer aussterbenden Schausteller- Ära der sogenannten Postmoderne – Michael Jackson, Indiana Jones und dem Yellowstone Nationalpark viel ähnlicher als dem vergrunzten Neo-Rock'n'Roll der neunziger Jahre. Ein Springsteen- Konzert ist ein wenig wie „Zurück in die Zukunft, Teil IV“, und handelte es sich nicht ohnehin um eine einzige Memorial-Veranstaltung, man müßte Denkmalschutz beantragen für so ein gut erhaltenes, technisch einwandfreies Zeitmobil.

Und das richtige Leben? Tja, über das haben wir in diesem Konzert natürlich wenig erfahren, aber wer hätte das auch erwartet? Im richtigen Leben waren wir doch schon froh, einen Parkplatz gefunden zu haben.

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