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„Irgendwo glücklich“

Steffi Graf gewann mit 7:6, 2:6, 6:4 in einem glanzlosen Finale gegen die Argentinierin Gabriela Sabatini die German Open  ■ Aus Berlin Matti Lieske

Monica Seles hat ihre krachenden Grundlinienschläge, Arantxa Sanchez-Vicario läuft und läuft, Martina Navratilova hat ihr Serve- and-Volley-Spiel, Steffi Graf ihre Vorhand. Nur Gabriela Sabatini hat nichts, womit sie die Gegnerinnen in Angst und Schrecken versetzen kann, keine Spezialität, die ihr einfache Punkte einbringt. Sie ist darauf angewiesen, die Kontrahentinnen durch permanente Steigerung des Drucks zu Fehlern zu zwingen oder die Voraussetzungen für einen Netzangriff oder einen Gewinnschlag zu schaffen. So entwickelte sich die 23jährige Argentinierin zur komplettesten und variabelsten aller Tennisspielerinnen. Kaum ein Schlag, den sie nicht in ihrem Repertoire hat, Topspin, Slice, Stopps, Volleys, Überkopfbälle fließen ihr mühelos und mit gebührender Eleganz vom Schläger. „Wenn es sein muß, kann sie den Ball hundertmal übers Netz spielen“, sagt Anke Huber. Ein Schwachpunkt ist nach wie vor der Aufschlag, besonders der zweite, doch ihr Hauptproblem liegt, wie sollte es anders sein, seit jeher im Kopf.

„Ich muß von Anfang an Druck machen und aggressiv spielen“, lautet ihr stereotyper Satz vor jedem Match, und vermutlich wiederholt sie ihn permanent, weil sie ihn selbst ständig von ihren Trainern eingebleut bekommt. Als Persönlichkeit gereift, hat sie inzwischen ihre latente Lustlosigkeit und Lauffaulheit weitgehend in den Griff bekommen, vorbei die Zeiten, als sie mit mißmutigem Gesicht und hängenden Schultern auf dem Platz herumschlurfte – Prototyp einer Verliererin.

Dennoch hat Gabriela Sabatini nach wie vor Probleme, ihre Devise vom aggressiven Spiel dauerhaft in die Praxis umzusetzen. Im Finale der German Open gegen Steffi Graf begann sie offensiv und druckvoll, jagte ihre Kontrahentin auf dem Platz herum und ging mit 4:2 bei eigenem Aufschlag in Führung. Als sie jedoch merkte, daß Steffi Graf jede Menge Fehler produzierte, begann sie sich alsbald darauf zu beschränken, von diesen Fehlern zu profitieren. Und als Graf keine Fehler mehr machte, hatte Sabatini plötzlich nichts mehr, wovon sie profitieren konnte. Sie ließ die Bälle nur noch zurückprallen und verlor einen Satz, in dem sie meist überlegen war, im Tie-break.

Sie habe zu kurz gespielt, ärgerte sich die Argentinierin hinterher, und nie das Gefühl gehabt, „das Spiel zu kontrollieren“. Kurioserweise ging es Steffi Graf ähnlich. Vor allem ihre Vorhand kam viel zu selten. „Ich war zu vorsichtig und habe die Bälle darum zu spät getroffen.“ Sie habe kein Vertrauen in ihr Spiel, bemängelte sie, und lasse sich viel zu schnell runterziehen. Im zweiten Satz häuften sich die Fehler, Sabatini siegte 6:2, doch danach war sie völlig fertig. Sie gab das Match früh verloren und schöpfte nicht einmal Hoffnung, als sie, weniger aus eigener Kraft, einen 2:5-Rückstand noch in ein 4:5 verwandeln konnte: „Ich habe nie geglaubt, das 5:5 schaffen zu können.“

Das tat sie dann auch nicht, Steffi Graf holte sich ihren siebten Berliner Titel, und während die Verliererin danach hochzufrieden war, wirkte die Siegerin deprimiert. „Ich liebe Berlin“, sagte Gabriela Sabatini auf die Frage, warum sie immer wieder komme, wo sie doch immer verliere. Diesmal habe sie schließlich erst im Finale verloren, das sei weit mehr, als sie in den letzten Jahren geschafft habe. Steffi Graf erklärte zwar, sie sei „irgendwo glücklich“, ihre Leichenbittermiene deutete aber auf eine schwere existentielle Krise hin. Sie sei „einfach zu negativ“, erklärte sie mit erstaunlicher Offenheit und müsse endlich lernen, die Dinge etwas leichter zu nehmen. Vielleicht sollte sie sich ein Beispiel an Sabine Hack nehmen und ihr Umfeld verändern. Die aufstrebende Ravensburgerin hat mit einer amerikanischen Frohnatur als Trainer ihren Hang zur Depressivität überwunden und spielt seither wesentlich befreiter. Wie sagte doch ein begnadeter Philosoph der Neuzeit: „Tennis spielt sich vor allem im Kopf ab.“

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