: Ein Kreuz für die Kandidatensuche
SPD-Parteirat beschließt Mitgliederbefragung / SPD-Basis darf zwischen Schröder, Scharping und Wieczorek-Zeul wählen / Das letzte Wort hat aber der Sonderparteitag im Juni ■ Aus Bonn Tissy Bruns
Der Parteirat, höchstes SPD- Gremium zwischen den Parteitagen, traf gestern die letzten Entscheidungen über das Personalfindungsverfahren, mit dem die SPD die Nachfolge des gescheiterten Björn Engholm regeln will. Ob das Basisvotum wirklich eine „Revolution“ des Parteilebens einleitet, wie gestern bemerkt wurde, wird sich erst später feststellen lassen. Einmalig ist das Modell Mitgliederbefragung auf jeden Fall, so einmalig wie in der Geschichte der SPD konkurrierende Kandidaturen um den Parteivorsitz.
Am 13. Juni werden also die 10.000 Ortsvereine der Partei „Mitgliederversammlungen mit politischer Diskussion“ durchführen. Jedes Mitglied kann dabei „in unmittelbarer und geheimer Form als Urnenabstimmung“ sein Votum abgeben. Wer an diesem Tag nicht kann (oder will), darf trotzdem mitmachen: Beim Ortsverein liegen die Unterlagen für eine Briefwahl. „Ich empfehle dem Parteivorstand, dem Parteitag als Vorsitzende/n der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands vorzuschlagen...“ lautet der Text, hinter den drei dann folgenden Namen (Scharping, Schröder, Wieczorek- Zeul) ist dann das Kreuz zu machen. Es geht also zu wie bei einer richtigen Wahl, inklusive Wahlkampf.
Die Kandidaten werden mit dem Brief von Interimsparteichef Johannes Rau an die Mitglieder Material zur Person verschicken dürfen. Auf drei bis fünf öffentlichen regionalen Großveranstaltungen können sie sich den Parteimitgliedern von ihrer besten Seite zeigen. Jedoch: Wie der Text schon verrät und Parteiengesetz wie SPD-Satzung vorschreiben, liegt die Entscheidung beim Sonderparteitag, der zwei Wochen später in Essen stattfindet. Wie der Parteivorstand, der dem Parteitag eine klare Personalentscheidung vorschlagen will, mit dem wahrscheinlich uneindeutigen Mitgliedsvotum umgehen wird, das dürfte zu einem interessanten Kapitel Parteiendemokratie werden.
Daß die SPD — beinahe aus Versehen — eine weitreichende Änderung der bisherigen Parteigepflogenheiten einleitet, stieß im Parteirat auch auf Bedenken. Ob die Frustrationen über die Ergebnisse solcher Befragungen den Gewinn an Mitgliedermobilisierung nicht wieder wettmachen können, fragte Günter Verheugen, in dessen Parteigliederung schon einmal eine Befragung zu einem Sachthema stattgefunden hat. „Veralberung“ befand gar der Sprecher des parteilinken Frankfurter Kreises, Detlev von Larcher. Auf der Linken der Partei herrscht tiefe Skepsis gegen die Befragung, weil sie als Einstieg in die Amerikanisierung der Parteistrukturen gewertet wird.
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