: Fort Knox von Bremen
■ Keiner kommt hier lebend rein: Ein Bummel durch Bremens Beweisstückstelle
Fort Knox von Bremen
Keiner kommt hier lebend rein: Ein Bummel durch Bremens Beweisstückstelle
Der leitende Oberstaatsanwalt J. FrischmuthFotos: Tristan Vankann
Nein, Geschichten gibt's hier nicht, sagt der Leitende Oberstaatsanwalt Jan Frischmuth. Die neue Asservatenkammer im Keller des ehemaligen Untersuchungsgefängnisses hinterm Landgericht an der Domsheide ist fertig. Der Rest vom Gebäude ist im Umbau. Noch muß man sich vorsichtig durch die Baustellenfallen vortasten, um in den Keller zu gelangen. Im November soll hier die Staatsanwaltschaft einziehen.
Geschichten gibt's also nicht, es sei denn, man wollte noch einmal erzählen, wie hier Bauarbeiter im Eifer des Gefechtes sichergestellte Gipsplatten einfach verbaut haben. „Da hingen große Zettel dran, aber es hat nichts genutzt“, erzählt Frischmuth. Zur Zeit des Umzuges ging eben alles ein bißchen drunter und drüber.
Frischmuth öffnet die erste Eisentür. „Die hier ist noch normal gesichert. Da, wo das Rauschgift liegt und das Geld, haben wir Bewegungsmelder. Die registrieren jeden Atemzug und melden sofort Alarm.“ Die Asservatenkammer der Staatsanwaltschaft und Polizei: Panzerfäuste, Gewehre, Münzen, Pornos, Autoradios, Alkohol, Zigaretten, Autoreifen, Elfenbein, ausgestopfte Krokodile, Schmuck, Videos, Fernsehgeräte, Messer, Baseball-Schläger: Alles, was Gegenstand eines Verbrechens geworden ist, liegt hier gebunkert. Zwischen 150.000 und 200.000 Gegenstände sind das, gestapelt in Eisenregalen bis unter die Decke. In einem Extraschuppen lagern außerdem 450 Fahrräder. Pelze und Teppiche hängen in der Mottenkammer, die einmal im Monat chemisch präpariert wird, damit die Motten die guten Stücke nicht kaputtfressen. „Demnächst kommen hier auch die Kühltruhen hin, wo wir die Leichenteile lagern“, erklärt Frischmuth. Um die Beweiskraft einzelner Körperteile zu erhalten, werden menschliche Beweisstücke aus unaufgeklärten Verbrechen bis zu 30 Jahre im
hier der Oberstaatsanwalt
Kühlschrank gelagert. Trotz großer Vorsicht geht manchmal was kaputt. Die Bonsai-Bäumchen beispielsweise, die hatte man zu gießen vergessen. Als der glückliche Besitzer sie abholen wollte, „da waren sie nur noch Gemüse“, erzählt Frischmuth.
Keine Geschichten, wie gesagt. Darum ein bißchen Hintergrund.. Staatsanwaltschaft und Polizei hatten nicht immer eine gemeinsame Asservatenkammer. Früher wurden Beweisstücke erst bei der Polizei gelagert, bis die entsprechende Akte zur Staatsanwaltschaft kam. Mit der Akte wurden auch die Beweisstücke weitergeleitet. Erst, als sich einmal auf ganz unerklärliche Weise 40.000 Mark bei der Übergabe von der Polizei zur Staatsanwaltschaft in Luft aufgelöst hatten, wurden die beiden Beweisstückstellen zusammengelegt. „Das war etwa Mitte der 80er Jahre, auf Anraten des Rechnungshofs“, erinnert sich Frischmuth. „Wo das Geld geblieben ist, konnten wir bis heute nicht rekonstruieren.“
Vier Leute arbeiten bei der Staatsanwaltschaft unter Tage, um zu registieren, markieren und wieder herauszugeben. „Ein Drittel müssen wir vernichten, ein Drittel wird versteigert, ein Drittel wird wieder herausgegeben“, sagt Werner Früchtenicht, der Leiter der Asservatenkammer. Jährlich wächst der Fundus der kamen Be
weisstückstelle um 6.000 bis 8.000 Gegenstände. Dreimal pro Jahr werden Versteigerungen angesetzt, das letzte Mal sind 11.000 Mark dabei herausgekommen. Der Erlös geht ins Staatssäckel.
Mit dem Vernichten, das ist so eine Sache. „Bei den Pornos, da wurde nie alles vernichtet, was wir hatten“, räumt Werner Fürchtenicht ein. Und Jan Frischmuth erinnert sich: „Wir hatten da mal ein paar gefälschte Rolex-Uhren, und die hätten eigentlich vernichtet werden müssen. Normalerweise hauen wir da mit einem Hammer drauf und schmeißen das weg, aber irgendwie sind die Uhren in eine Versteigerung gekommen.“ Oder falsche Markenhemden. 120 gefälschte Lacoste-Hemden verschwanden mal im Müllcontainer der Staatsanwaltschaft. „Eine Stunde später war keins mehr da.“ Erst ein Machtwort von Landgerichtspräsident Crome habe die Hemden wieder zum Vorschein gebracht.
Immer noch keine Geschichten. Aber ein ausgetüfteltes Sicherheitssystem, um zu verhindern, das etwas wegkommt. Doppelte Buchführung, Stichprobenkontrollen im Bestand, zwei- Mann-Besetzung bei Vernichtungsaktionen. „Die Versuchung ist groß, aber man muß den Leuten hier eben auch ein Stück Vertrauen entgegenbringen. Alles kann man nicht kontrollieren“, sagt Frischmuth. Millionenwerte lagern hier, geordnet nach Raum-, Regal- und Fachnummern. Aufbewahrt werden muß alles bis zum Ende eines Verfahrens. Wenn's geht, werden die Beweisstücke schon vorher 'rausgeschmissen. „Wir haben ein automatisches Mahnsystem. Wenn hier Sachen allzulange lagern, wird der bearbeitende Staatsanwalt angemahnt, ob die Sachen vernichtet oder zurückgegeben werden können“, erzählt Frischmuth.
Ein Labyrinth, dieser Keller. Wir sind durch. Wenn sich bei der Besichtigung eine Fliege mit in die Sicherheitskammer eingeschlichen hat, werden die Berührungsmelder sie bald aufspüren. „Hier hat keine eine Chance, einzubrechen“, sagt Werner Früchtenicht ein bißchen stolz. „Hier kommt keiner rein“. Wie sich alles ändert: Früher, als der Keller noch zum Untersuchungsgefängnis gehörte, kam niemand da heraus. Markus Daschner
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