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„Ich weiß nicht, was wird“

Portrait einer in Frankfurt am Main lebenden rumänischen Romafamilie mit dem Status „Staatenlose“  ■ Von Joachim Brenner

Herr Jaroslav ist 45 Jahre alt. Er hat Angst, seinen richtigen Namen zu nennen, da er Nachteile befürchtet. Gegenwärtig gibt es erhebliche Schwierigkeiten mit den Behörden hinsichtlich seines Status als staatenloser Roma in der BRD. Ein Verwandter ist erst kürzlich in Abschiebehaft genommen und von der Polizei verprügelt worden. Jaroslavs Geschichte ist vergleichbar mit der von etlichen tausend anderen Roma aus Rumänien, die in den letzten Jahren geflüchtet sind.

Er ist in der kleinen rumänischen Stadt Cataia geboren und aufgewachsen. Fast vierzig Jahre haben Jaroslav, seine Frau und neun Kinder dort gelebt. Elf Personen hatten sich in 3 1/2 Zimmern zurechtzufinden. Wasser gab es nicht, und der Strom wurde von den Gadje, so werden alle Nicht-Rom genannt, nur für besondere Gelegenheiten reserviert, zuletzt ganz abgestellt. Über die räumlichen Verhältnisse wird nicht geklagt, denn immerhin hatte man ja noch ein Dach über dem Kopf. Arbeit gab es. Herr Jaroslav war in der Landwirtschaft und als LKW-Fahrer am Bau tätig.

Als es bekannt wurde, daß es sich bei Familie Jaroslav um Roma handelte, änderte sich einiges. „Die Kinder sind auf der Straße geschlagen worden. Die Leute waren sehr schlecht zu uns. Wir wurden ausgeschimpft. Zigeuner, Zigeuner.“ Zwar war unter Ceausescu die wirtschaftliche Lage nicht so extrem wie heute, dennoch mußte gehaushaltet werden. Eier, Fleisch, Butter waren nur im Tausch erhältlich. Herr Jaroslav berichtet, daß die Familie ständigen Repressalien ausgesetzt war. „Die Polizei drang in unser Haus ein. Morgens um fünf Uhr. Die haben die Tür aufgebrochen, sind reingekommen und haben die Leute geschlagen. Ohne Grund. Unser Haus ist niedergemacht worden, allein weil wir Roma waren. Die Bevölkerung machte entweder mit oder verhielt sich passiv.“ Er wurde mehrmals festgenommen, im Gefängnis verprügelt und über Wochen und Monate hinweg interniert. Ebenso wie viele andere Familien waren auch die Jaroslavs Opfer willkürlicher Razzien. Eine Lobby oder sonstige Fürsprache gab es nicht. Eigenes Aufbegehren war zu gefährlich. Über ein Jahr fristete Familie Jaroslav ein Dasein ohne Behausung, verfolgt und in ständiger Angst. Nicht alleine ihnen ging es so. Vielen Roma in der Gegend um Cataia ist auf ähnliche Weise die Existenz geraubt worden.

Mit dem Rücken zur Wand und jeder Möglichkeit beraubt, unter menschlichen Umständen in Rumänien zu leben, entschloß sich Familie Jaroslav vor sieben Jahren zur Flucht. Die Entscheidung fiel nicht leicht. Ein Ausreisevisum gab es nicht. Wären sie von der Polizei entdeckt worden, so hätte das fünf Jahre Haft eingebracht. Ein befreundeter Rumäne brachte sie bis zur Grenze. Der Transit durch Österreich wurde zu Fuß geleistet. „Wir waren sehr lange unterwegs, haben oft in Gräben an der Straße und im Wald geschlafen.“ Das Bundesgebiet wurde über die bayerische Grenze erreicht. Per Anhalter ging es weiter. „Ein LKW-Fahrer hatte Mitleid mit uns und nahm uns mit bis Hamburg.“ Dort wurde der Antrag auf Asyl gestellt. „Was mit unseren Anträgen wurde, weiß ich nicht.“ Die Unterbringung fand vorerst in Hotels statt. Über etliche andere Städte kam die Familie schließlich 1987 nach Frankfurt am Main.

Vier Kinder sind verheiratet und leben mittlerweile in Offenbach und Wiesbaden. Endlose Geduld und zahlreiche Ämtergänge waren nötig, bis 1990 schließlich der Fremdenpaß ausgestellt und der Status „Staatenlose“ verliehen wurde. „Mühsame drei Jahre. Ich weiß, daß die Leute hier auch in der Zeit gedemütig wurden. Sie sind immer wieder bestellt worden, mußten stundenlang in der Ausländerbehörde sitzen und warten. Und wenn sie reingekommen sind, hieß es, es ist noch nichts da, kommen Sie mal wieder, reden Sie mal wieder vor“, so Hans Georg Böttcher von der Roma Union Frankfurt am Main. Herr und Frau Jaroslav kamen zurecht, solange die HLU, die Sozialhilfe, gezahlt wurde. Trotz enger Verhältnisse arrangierte man sich zusammen mit einer anderen Romafamilie in der Wohnung. Arbeit war nicht zu finden. Wer stellt einen Roma ein?

Gewaltige Schwierigkeiten gab es, als seitens des Sozialamtes im März 1993 versucht wurde, durch Kürzung und Aussetzung der HLU Familie Jaroslav zur Repatriierung zu zwingen. „Aufgrund der vorliegenden Voraussetzungen Ihres Aufenthalts in der BRD ist es nach Prüfung ihres Einzelfalls zuzumuten, daß Sie die rechtlichen Voraussetzungen für eine Rückkehr nach Rumänien schaffen“, so heißt es in einem Schreiben des Sozialamtes. Was jahrelang rechtens war, als Grundlage zur Auszahlung der Sozialhilfe akzeptiert wurde, ist nun hinfällig, denn der im November 92 abgeschlossene Rückführungsvertrag erlaubt es neuerdings, daß Rumänien der Wiedereinbürgerung sowie der Abschiebung ehemaliger Staatsbürger nichts mehr entgegensetzt. Herr Jaroslav versteht nicht, warum dem so ist, warum die Wohnung nicht mehr bezahlt und kein Krankenschutz mehr geleistet wird. Ihm wurde eine Vollmacht vorgelegt, in der er Bedienstete der Sozialstation ermächtigt, in seinem Namen die Ausstellung von rumänischen Reisepässen beziehungsweise ein Wiedereinbürgerungsverfahren zu betreiben. Er wird genausowenig wie andere rumänische Roma dem Ansinnen nachkommen. „Ich weiß nicht, was wird. Eher setze ich mich draußen auf die Straße, als daß ich zurück nach Rumänien gehe.“ Zu gut ist noch in Erinnerung, warum man vor Jahren flüchtete. Die Verhältnisse haben sich wesentlich verschlechtert. Bekannte erzählen, daß jetzt ein Kilo Fleisch ein Fünftel des Monatslohns kostet. Doch nicht allein ökonomisch wurde das Leben schwieriger. Der Haß auf die „Zigeuner“ ist hoffähiger denn je. Im Zuge der nationalen Erneuerung haben Roma in Rumänien keinen Platz. Menschenrechtsorganisationen wie Helsinki Watch, die Gesellschaft für bedrohte Völker oder amnesty international dokumentieren Pogrome mit Todesfolgen. Mehr denn je werden Roma in die alte Rolle des Sündenbocks getrieben und müssen für politische und wirtschaftliche Verfehlungen herhalten. Das alte Ressentiment, die teilweise offen rassistische Einstellung der Bevölkerung gegenüber den Roma, der zweitgrößten Minderheit in Rumänien, kommt dem entgegen. Das Kreisgericht Greifswald hat hier bereits im Mai 92 entschieden, daß Angehörige der Volksgruppe der Roma einer gruppengerichteten politischen Verfolgung ausgesetzt sind (Informationsbrief Ausländerrecht 1992, S. 338).

Die Roma Union Frankfurt/ Main und der Förderverein für ein Roma-Gemeindezentrum unterstützen die Jaroslavs ebenso wie andere betroffene Familien. Selbst die Ausländerbehörde, die auch weiterhin Fremdenpässe an rumänische Roma vergibt, zeigt sich befremdet über das eigenmächtige Handeln der Sozialstationen. Die Verfahrensweise des Sozialamtes liegt nunmehr dem Verwaltungsgericht Kassel zum Spruch vor. Gleich in welchem Sinne dort ein Urteil gefällt wird: sicher ist, daß sich weder die Jaroslavs noch andere freiwillig nach Rumänien verfrachten lassen. Joachim Brenner

Übersetzung: Hans Georg Böttcher (Roma Union Frankfurt)

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