■ Mit Ost-Investoren auf du und du: Kathedralen im Bau
Berlin (taz/dpa) – High-Tech- Kathedralen in der Wüste anstelle der Kohlschen blühenden Landschaften haben Wirtschaftsforscher seit langem für Ostdeutschland vorausgesagt. Sie haben, wohl zum eigenen Bedauern, recht behalten. Insgesamt ist die Erholung der gesamtwirtschaftlichen Produktion Ostdeutschlands nach der Jahreswende ins Stocken geraten, wie die Volkswirte am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) beobachtet haben.
Die wirtschaftliche Abwärtsentwicklung in Westdeutschland werde auch verhindern, daß in den neuen Ländern bald wieder Auftriebskräfte die Oberhand bekämen. Deshalb erwarten die Konjunkturforscher vom DIW eine Zunahme der Arbeitspendler nach Westen, deren Zahl auf knapp 400.000 zurückgegangen war.
Allerdings, so das DIW, sei im Westen der Tiefpunkt der Rezession noch nicht erreicht. Das reale Bruttoinlandsprodukt dürfte im 2. Quartal nochmals geringfügig unter dem Niveau des 1. Quartals liegen und den entsprechenden Vorjahreswert um 2,5 Prozent unterschreiten. In Westdeutschland ist die gesamtwirtschaftliche Produktion in den ersten drei Monaten 1993 „in einem noch nie zuvor festgestellten Tempo zurückgegangen“. Das Bruttoinlandsprodukt habe um gut zwei Prozent unter dem Niveau des Vorquartals gelegen.
In Ostdeutschland reichten die Impulse der guten Baukonjunktur kaum aus, den massiven Arbeitsplatzabbau in der Industrie auszugleichen. Gleichzeitig sind in Ostdeutschland die vorausgesagten High-Tech-Kathedralen entstanden. Jeweils die modernsten Werke Europas, wenn nicht gar der Welt, eröffneten in Thüringen Opel (Investition: eine Milliarde Mark) oder der bayerische Compact- Disc-Hersteller Pilz (Investition: 286 Millionen DM).
Entsprechend gut und teuer sollen einmal die VW-Fabrik Mosel II, Quelles Versandhaus bei Leipzig und das Montagewerk für Fahrzeug-Standheizungen der Webasto Thermosysteme GmbH Neubrandenburg sein – eine „ganz logische ökonomische Konsequenz“, meint Wolfgang Scheremet vom DIW.
Die Aussicht auf ein einheitliches Lohnniveau in fünf bis sechs Jahren bringe Investoren schon jetzt dazu, hochmoderne Anlagen einzusetzen, um mit möglichst geringem Personaleinsatz die größtmögliche Produktivität zu erzielen. Die Kehrseite: nur ein Bruchteil der zu DDR-Zeiten in der Industrie Beschäftigten findet Arbeitsplätze. dri
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