: Akademie-Fusion bleibt umstritten
■ Lehmann-Brauns (CDU) fordert „Gauckung“ der Künstler
Berlin. Die konfliktreiche Gründung der Akademie der Künste droht, kurz bevor sie am kommenden Donnerstag im Abgeordnetenhaus beschlossen wird, zu einer Belastungsprobe für die Große Koalition auszuwachsen. Denn an der Frage des Umgangs mit stasibelasteten Mitliedern der ehrwürdigen Vereinigung trennen sich nicht nur die Wege der Künstler, die ihr angehören. An ihr scheiden sich nun auch die kulturpolitischen Geister von SPD und CDU.
Bereits in der letzten Woche wurde die Koalitionsvereinbahrung gebrochen, als sich im Kulturausschuß des Abgeordnetenhauses die Sozialdemokraten zusammen mit den Grünen und der PDS für eine Blockübernahme der Ost- Akademiemitglieder in die neue Akademie der Länder Berlin und Brandenburg aussprachen.
Sie segneten damit parlamentarisch den Weg zur Vereinigung ab, den der Präsident der West-Akademie, Walter Jens, mit Unterstützung eines Großteils seiner Ostkollegen eingeschlagen hat. im Dezember 1991 hatte sich die Ost- Akademie in geheimer Wahl von 36 regimetreuen Mitgliedern getrennt und damit den Weg für eine Blockübernahme freigemacht. Im Februar '92 billigte die West-Akademie diesen Weg mit einer Zweidrittelmehrheit, während eine Minderheit auf eine individuelle Zuwahl bestand. 26 Mitglieder der West-Akademie traten aus. Auf individuelle Zuwahl der Ost-Akademiker besteht auch die CDU, die zudem eine generelle Gauck- Überprüfung zur Bedingung machen will. Im Kulturausschuß unterlag sie knapp mit acht zu neun Stimmen, wobei sinnigerweise die entscheidende Stimme von jenem PDS-Abgeordneten Dieter Klein kam, der als IM „Kleinfeld“ dem Ost-Akademiepräsidenten Heiner Müller eine Wohnung für dessen Stasi-Kontakte zur Verfügung gestellt haben soll.
Der kulturpolitische Sprecher der CDU, Uwe Lehmann-Brauns, will diese Verstrickung Müllers genauso erhellt wissen, wie er eine öffentliche Auseinandersetzung über Stefan Hermlin und andere kulturelle Stützen der ehemaligen DDR fordert. SPD-Fraktionssprecher Peter Stadtmüller hingegen hält eine Stasi-Überprüfung eher im Öffentlichen Dienst für angebracht, nicht jedoch bei Künstlern. Die SPD wandte sich gestern an den Regierenden Bürgermeister, „endlich Ordnung im eigenen Hause zu schaffen und zu den gemeinsamen Vereinbarungen zurückzukehren“. Die SPD kann immerhin süffisant darauf verweisen, daß der Staatsvertrag über die Akademiegründung bereits im Senat und in der Brandenburgischen Landesregierung abgesegnet wurde. In der Tat schien das stillschweigende Einverständnis der CDU-Kulturpolitiker bereits gewiß, bis vor zwei Wochen Lehmann-Brauns unverhoffte Rückendeckung von höchster Stelle bekam. Der Bundeskanzler betrachtete „mit Befremden und Sorge“ die En-bloc-Übernahme und vernahm in den Austritten „ein unüberhörbares Alarmsignal“. Solchermaßen von Kohl gestärkt, will Lehmann-Brauns nun in die Offensive gehen. Er fordert, bei der Parlamentsabstimmung über den Staatsvertrag die Abgeordneten vom Fraktionszwang zu entbinden, in der stillen Hoffnung, einige SPD-Dissidenten auf seine Seite ziehen zu können. Der Druck auf die SPD wächst, denn gestern haben vierzig namhafte Künstler, darunter Bärbel Bohley, Jürgen Fuchs, Hans Christoph Buch, Jürgen Fuchs, Günter Kunert, Rainer Kunze und Hans Joachim Schädlich, mit der Gegengründung einer „Freien Akademie der Künste“ gedroht. Ein Teil von ihnen hat die West-Akademie bereits wegen der „vergifteten Atmosphäre“ verlassen. Dieter Rulff
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