piwik no script img

Kein Grips, kein Straps

■ Homos beklagen Nachrichtenunterdrückung bei "Westfälischen Nachrichten"

Münster (taz) – Hunderttausende Schwule und Lesben marschieren in den USA zum Weißen Haus, die Wirtschaftswoche berichtet in einer Titelgeschichte über „Homosexualität in der Chefetage“, und in der ARD wird ab nächsten Donnerstag eine Schwulen-Comedy laufen. Aber einige Medien müssen sich immer noch den massiven Vorwurf gefallen lassen, daß sie schwul-lesbische Themen tabuisieren, wie zum Beispiel die ehrenwerten Westfälischen Nachrichten (WN) mit Verlagssitz in Münster.

Die Aktivisten der regionalen Homobewegung haben jedenfalls von der beharrlichen Ignoranz der auflagenstärksten Zeitung im Münsterland die Nase gestrichen voll. Unter dem Motto „Totgeschlagen – totgeschwiegen“ legten sich am vergangenen Montag symbolisch zahlreiche VertreterInnen der Aids-Hilfe und Lesben- und Schwulengruppen des Münsterlandes als Tote auf das Pflaster vor die Geschäftsstelle der WN am Prinzipalmarkt. Der 17. Mai wurde als Tag für diese Aktion gewählt, um auf den diskriminierenden Paragraphen 175 aus dem Strafgesetzbuch hinzuweisen.

Zwar werden auch in den Westfälischen Nachrichten die Themen Homosexualität und Aids nicht gänzlich ausgespart und etwa auch über eine Fachkonferenz der SPD zur Schwulen- und Lesbenpolitik berichtet. Doch die Liste der nachweislichen „Nachrichtenunterdrückung“, die jetzt zur Eskalation des schwelenden Konflikts führte, ist lang. So wurde zum Beispiel eine Todesanzeige für einen an den Folgen von Aids gestorbenen Mitarbeiter der Aids-Hilfe nicht angenommen. Sie enthielt das Wort „schwul“. Der alljährlich stattfindende (auch bei Heteros beliebte) „Schwulen- und Lesbenball“ fand bislang nicht einmal als bezahlte Anzeige Erwähnung, genauso die „Aktion Standesamt“ oder die Gründung der Prostituierten-Selbsthilfegruppe „Straps & Grips“. Und selbst als der münstersche CDU-Oberbürgermeister Dr. Jörg Wenhöven des Kommunikationszentrum Münsterland, Deutschlands mitgliederstärkstes Schwulen- und Lesbenzentrum, eröffnete, war das den Westfälischen Nachrichten (Werbeslogan: „Eine Zeitschrift für alle“) keine Zeile wert. Die Aids-Hilfe Münster hat inzwischen eine Beschwerde wegen „Nachrichtenunterdrückung“ an den Deutschen Presserat gerichtet.

„Wir klammern das Thema Homosexualität nicht aus“, meinte WN-Chefredakteur Jost Springensguth in einer Stellungnahme gegenüber der Aids-Hilfe Ahlen, die WN nehme lediglich „bei der redaktionellen Gewichtung von Stoffen eine Wertung vor, wie sie in jedem Medium gängige Praxis“ sei. Täglich habe die WN Material aus allen Lebensbereichen auf dem Schreibtisch, die zu gewichten seien, dabei, so Springensguth, „spielte die Organisation von Minderheiten, etwa der Homosexuellen, bei uns eine untergeordnete Rolle“.

Die Schwulen und Lesben in Münster, dem historischen Ursprungsort der Homobewegung (hier gab's die erste Schwulengruppe und die erste Schwulendemo) erleben diese Nachrichtenpolitik als Unterdrückung. Wer totschweige, begünstige auch die Gewalt gegen Schwule, hieß es bei dem Die-In. Selbst die münstersche Bistumszeitung Kirche und Leben berichte ausführlich über die Situation von Homosexuellen in Kirche und Gesellschaft. Man empfinde es als zynisch, wenn die WN ihre Nachrichtenpolitik damit begründe, daß sie sich als „meinungsgebundene Zeitung an christlichen Grundwerten“ orientiere, wie das Lokalchef Erhard Obermeyer bereits 1989 tat. Schwule und Lesben totzuschweigen, sie an den Rand zu drängen, den Dialog zu verweigern, das sei ja wohl alles andere als christlich, meinte einer der Organisatoren, Stefan Zacharias von der Aids- Hilfe Münster.

Die Ironie des Schicksals wollte es, daß am Tag nach dem Die-In die Stadt Münster zum Höhepunkt des Stadtjubiläums eine Skulptur des Basken Eduardo Chillida in Anwesenheit des Bundespräsidenten geschenkt bekam. Titel: „Toleranz durch Dialog“. DFB

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen