piwik no script img

Von Feindbildern und Kreuzzügen

Der „islamische Fundamentalismus“ in zwei neuen Veröffentlichungen  ■ Von Thomas Dreger

Wer bei deutschsprachigen Veröffentlichungen zum Thema Islam derzeit auf dem Laufenden bleiben will, sollte über ein gesichertes Einkommen höherer Stufe verfügen. Unter den Autoren, die den Abendländlern die fremde Religion und Kultur näher bringen wollen, sind notorische Experten à la Scholl-Latour, Theologen, Sozialwissenschaftler und Nahostkorrespondenten, die nach Jahren der Tätigkeit in orientalischen Kapitalen und Pressezentren den Drang verspürten, den Daheimgebliebenen die fremde Welt zu erklären.

Der Politikwissenschaftler Jochen Hippler und die Journalistin Andrea Lueg versuchen in ihrem frisch erschienenen Buch, das „Feindbild Islam“ zu ergründen. Anfang vergangenen Jahres wurde im Bundesverteidigungsministerium ein Papier verfaßt, daß die Aufgabe der Bundeswehr als Instrument der Sicherung weltweiter Stabilität neu definiert und der „Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des Zugangs zu strategischen Rohstoffen“ Priorität einräumt. Militärs und Politiker prägten kurz darauf den Begriff des „islamischen Krisenbogens“.

Obwohl Hippler und Lueg zu Beginn ihres Buches feststellen, daß „die gegenwärtige Konjunktur populärer Literatur über die islamische Gefahr wenig mit dem vorgeblichen Gegenstand der Bedrohung, aber um so mehr mit dem westlichen Denken“ zu tun habe, reicht „Feindbild Islam“ weit über eine bloße Betrachtung des „Feindbildes“ hinaus. Der Grund dafür liegt darin, daß etwa die Hälfte des Buches von Gastautoren gefüllt wird.

Die Islamwissenschaftlerin Petra Kappert beleuchtet die Geschichte des orientalisch-europäischen Verhältnisses. Das „europäische Konstrukt vom imaginären Orient als einer erträumten ,Gegenwelt‘ zum Westen“ der Dichter und Schwärmer des 19. Jahrhunderts taucht in ihrem Kapitel ebenso auf wie die Rezeption der französischen Revolution durch islamische Herrscher und Gelehrte. Kapperts Berufskollege Reinhard Schulze analysiert die Diskussion muslimischer Intellektueller um Moderne und Religion. Die Lektüre dieses Kapitels reicht aus, um die von „Experten“ in die Welt gesetzte Legende, „Orientalen“ bedürften eines „starken Mannes“ nach Vorbild Saddam Husseins, in den Orkus zu befördern.

Am weitesten verläßt den von Hippler und Lueg gesteckten Rahmen Azmi Bishara. Unter dem Titel „Religion und Politik im Nahen und Mittleren Osten“ stellt der palästinensische Philosophieprofessor dem Feindbild die Realität entgegen. Er erläutert die Facetten des „politischen Islam“, jenes Phänomens, das bei uns schnell mit dem Deckel „islamischer Fundamentalismus“ versehen wird. Der „politische Islam“ sei nicht nur als Antwort auf „die Moderne“ zu verstehen, sondern ein Phänomen, das selbst „modern“ sei, lautet Bisharas Kernthese. Er dürfe weder mit der „Volks- oder Alltagsreligiösität“ breiter Bevölkerungsteile noch mit dem „religiösen Establishment“ und „religiösem Konservativismus“ islamischer Gelehrter verwechselt werden.

Zu einem verblüffenden Schluß kommt Hippler zum Ende des Buches. Die reale Politik des Westens gegenüber islamischen Staaten sei kaum von Feindbildern getrübt. Während innenpolitisch ein teilweise hysterisches Islambild gezeichnet werde, sei die Außenpolitik gegenüber islamischen Ländern eher rational. Der Westen betreibe „keinen ,Kreuzzug‘, sondern ,nur‘ imperiale Politik“. Die innenpolitisch geschürten Ängste vor dem Islam könnten aber jederzeit genutzt werden, um „jedes politische oder militärische Abenteuer“ zu rechtfertigen.

Solche „Abenteuer“ finden nach Ansicht von Eva Wichtmann und Hashim Mohamed schon lange statt. Das Buch „Morgenland wird abgebrannt“ der Mitarbeiterin der Hilfsorganisation „medico international“ und des Exilirakers trägt auf dem Umschlag in arabischen Lettern den Untertitel „as-salibiya al-haditha“ (Der moderne Kreuzzug). Stakkatohafte Sätze, mißglückte Ironisierungen und aneinandergereihte Zitate machen das Buch nicht gerade zu einer angenehmen Lektüre. Wichtmann und Mohamed beschreiben die „Interessenpolitik“ des westlichen Auslandes gegenüber den islamischen Staaten, die seit Jahrzehnten deren „Bevölkerungen keine Lücke zur Demokratisierung“ lasse. Die Autoren reihen Fakten aneinander, die zeigen, wie oft westliche Politiker totalitäre Regime oder Bewegungen im Nahen Osten unterstützt haben, ohne sich um das Schicksal der dortigen Bevölkerung zu kümmern.

Sei es die US-Unterstützung der irakischen Baath-Partei bereits vor deren Machtergreifung, die vom US-Außenminister Kissinger angeregte Instrumentalisierung der ägyptischen Muslimbrüder oder die Finanzierung des Westsahara- Krieges des marokkanischen Königs durch die EG. Solch skrupelose Politik ist dafür verantwortlich, daß „der Westen“ unter vielen Bewohnern des Nahen Ostens zum Synonym für alles Üble dieser Welt geworden ist.

Neu sei seit Ende des Kalten Krieges, daß „Staatssysteme als Kennung für Freund und Feind abgewirtschaftet“ hätten. Stattdessen würden jetzt „die Religionen, die solange Zeit im Osten unterdrückt und im Westen überholt waren, hervorgekramt.“ Eine Feindbildgestaltung, die zum Beispiel den südirakischen Schiiten nach dem zweiten Golfkrieg zum Verhängnis wurde. Die Golfkriegsalliierten ließen die vermeintlichen aufständischen „Fundamentalisten“ im Stich.

Fatal wird die ideologisch geprägte Darstellung von Wichtmann und Mohamed, wenn es um Israel geht. Der Staat wird auf eine strategische Bastion des Westens reduziert, die in der Region „installiert“ worden sei. Ein stabiler Frieden sei mit Israel nicht möglich, denn dieser würde „den ,jungen Staat‘ [im Original in Anführungszeichen, T. D.] vermutlich weitgehend seiner Funktion berauben, wäre gar ein wirklicher Angriff auf sein Existenzrecht“. Wichtmann und Mohamed pflegen ein eigenes Feindbild. Die Bösen sind in ihrem Fall Israel und seine Unterstützer.

Jochen Hippler, Andrea Lueg: „Feindbild Islam“. Konkret Literatur Verlag, Hamburg 1993, 208 S., 26DM

Eva Wichtmann, Hashim Mohamed: „Morgenland wird abgebrannt, Kriegskolonien, Kampfkapital, Vom Djihad des freien Westens, as-salibiya al-haditha“. Verlag Das Freie Buch, München 1993, 238 S., 16DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen