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„Irgendwann ist das Maß voll!“

Seit sechs Wochen halten die Kali-Kumpel im thüringischen Bischofferode ihr Werk, den letzten Großbetrieb der Region, besetzt  ■ Aus Bischofferode Marita Vollborn

Nicht die Vereinigung, sondern ein deutsch-deutscher Wirtschaftsdeal gebar sie, die Don Quichottes der Thüringer Kaliindustrie. Seit nunmehr sechs Wochen halten die Kumpel aus Bischofferode ihr Werk besetzt, kämpfen gegen Europas größten Kaliproduzenten, die BASF-Tochter Kali und Salz AG, und die Treuhandanstalt.

Was die Bischofferoder wollen, wollten schon die seit 1991 entlassenen 28.000 anderen ostdeutschen Bergleute: Arbeit in ihrer Region. Das Eichsfeld, ein Landstrich in Thüringens Norden, droht wie in den zwanziger Jahren das Armen- und Greisengebiet Deutschlands zu werden. „Nach der Wende ist alles dichtgemacht worden, und die jungen Leute ziehen weg, weil sie keine Arbeit mehr finden“, erzählt Bergmann Günther Kruse, der wie seine Kollegen nach achtstündiger Schicht noch vier Stunden am Werkstor Posten steht. Nach der Baumwollspinnerei und dem Milchhof in Leinefelde, dem Zementwerk in Deuna und einem Robotron-Teilbetrieb in Worbis soll nun auch das Kaliwerk Bischofferode schließen, der letzte noch existierende Großbetrieb im Eichsfeld.

Der umstrittene Deal sieht die Fusion von insgesamt vier Kali- und einem Steinsalzwerk der ehemaligen DDR und sechs Kali- und zwei Steinsalzwerken der alten Bundesrepublik vor. Geführt werden soll das gemeinsame Unternehmen zu 49 Prozent von der Treuhand und zu 51 Prozent von der Kasseler Kali und Salz AG; bis 1997 ist ein „Herauslösen unwirtschaftlicher Kali- und Steinsalzwerke“ geplant.

Einer der vielen Knackpunkte des Vertrages: ein ungleicher Arbeitsplatzabbau in West und Ost. „Die Hessen haben fünf Jahre Zeit, und bei uns wird Kahlschlag betrieben“, ärgert sich Gerhard Jüttemann, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender. „Auf einer Fläche von etwa 80 Quadratkilometern haben bis 1989 20.000 Bergleute gearbeitet. Davon sind noch 700 Bischofferoder übrig und 125 Merkerser, die nach Schließung ihres Werkes im hessischen Hattorf einfahren sollen. Und jetzt will man Bischofferode auch noch zumachen. Irgendwann ist das Maß mal voll!“

Das Grubensterben in Thüringen ist epidemisch. Fallen der Wirtschaftsseuche nach Sondershausen, Roßleben, Volkenroda, Sollstedt und Bleicherode auch noch Merkers und Bischofferode zum Opfer, wird die Hälfte aller Menschen im thüringischen Eichsfeld arbeitslos sein.

Gegen eine Schließung des Werks in Bischofferode spricht nicht nur das Veto des Ministerpräsidenten Bernhard Vogel (CDU), der um den Industriestandort Thüringen bangt. Auch die Kunden aus Skandinavien, Frankreich, Österreich, Belgien und Holland, seit Jahrzehnten Importeure des qualitativ hochwertigen Rohsalzes, drohen mit einer Abkehr von deutschen hin zu Einfuhren aus Weißrußland. „Wir könnten noch 47 Jahre lang täglich 12.000 Tonnen mit einem K2O-Gehalt von 13 Prozent fördern. Dagegen hat hessisches Salz nur halb soviel K2O“, sagt der 51jährige Peter Bilz, seit früher Jugend Kumpel im Werk, und: „Hier findet eine Marktbereinigung statt“ – zugunsten von Kali und Salz.

Noch vor zwei Jahren galt Bischofferode als sanierungsfähig, Investitionen standen auf dem Programm. Die geplante Produktion eines zweiten Düngemittels versprach Rentabilität, nährte den Glauben an ein wirtschaftliches Überleben. Doch im Mai 1992 stoppte die Treuhand sämtliche Aktivitäten und beauftragte das Investmentbank-Konsortium „Goldman & Sachs“, die Chancen Bischofferodes zu prüfen. Neben diesem ließ die Treuhandanstalt ein weiteres Modell von der Kali und Salz AG zum Geschäftsplan der fusionierten Betriebe erstellen. Beide Gutachten ertränkten die Hoffnung der Kumpel in einer Flut von roten Zahlen. Grubenbetriebsführer Günter Henkel: „Hier hat eindeutig Kali und Salz agiert. Beide Ergebnisse sind identisch und weisen dieselben Fehler auf. Zum Beispiel ist die Produktion eines zusätzlichen Düngemittels in Bischofferode erst gar nicht in die Berechnungen eingegangen.“

Als am 23. April der Treuhandverwaltungsrat in Düsseldorf der Zusammenlegung der ost- und westdeutschen Kaliindustrie endgültig zustimmte, suchten einige der 150 protestierenden Kumpel aus Bischofferode und Merkers das Gespräch mit Treuhandmitarbeitern. „Keiner von denen hat uns auch nur eines Blickes gewürdigt. Als ich sie angesehen habe, dachte ich: Jetzt guckst du das erste Mal in deinem Leben in die Gesichter von Verbrechern“, berichtete danach einer der Teilnehmer.

Enttäuscht, verraten und im Stich gelassen fühlen sich viele Bergleute. Die eigene Gewerkschaft hat ihnen den Rücken gekehrt; sie unterstützt keine der Aktionen und tritt nicht als Organisatorin auf; Anfragen bleiben unbeantwortet, Telefonate werden abgewimmelt. „Wenn das hier so weitergeht, wollen die Leute öffentlich ihre Mitgliedsbücher und die Gewerkschaftsfahnen vor dem Werkstor verbrennen“, sagt Gerhard Jüttemann.

Zu größeren Ausschreitungen ist es bislang nicht gekommen, aber am vergangenen Montag warfen Demonstranten Eier, Flaschen und Büchsen auf das Treuhandgebäude in Berlin, Polizisten wurden bei der Räumung verletzt. Langsam beginnt die Schweigemauer der Resignation zu bröckeln, brodelt unter der Oberfläche eine ohnmächtige Wut. Bisher scheinen jedoch weder Politiker noch Wirtschaftsexperten die Zeitbombe zu spüren, die unter den Füßen der Vereinten Nation tickt.

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