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Fünf Punkte müssen her

■ Nach der 0:1-Schlappe in Duisburg hilft den Paulianern nun nur noch Rechnen und Gottvertrauen / Dienstag erwartet man auf Pauli Meppen

Wider besseres Wissen muß der Fußball-Fan auf Wunder setzen. Das Unmögliche muß einfach möglich sein. Wäre es das nicht, wäre der Freizeitstand des Fußball-Fans obsolet. Denn legitimiert sich dieser Menschenschlag nicht allein durch den christlichen Psalm von Glaube, Liebe und Hoffnung? Bei Anhängern des FC St. Pauli ist religiöse Verdrängung von Vernunft besonders ausgeprägt. Egal, wie erbärmlich schlecht die Mannschaft, wie bedrohlich der Tabellenstand, wie überlegen nominell der Gegner: Ein St. Paulianer kennt vor dem Spiel keine Furcht und hinterher keinen Schmerz. Und doch hat es all dieser Logik des Unlogischen zum Trotz wahrscheinlich ziemlich weh getan, als am Sonnabend der MSV Duisburg im Wedaustadion mit einem 1:0-Sieg seine eigenen Aufstiegsambitionen genauso untermauerte wie die Abstiegssorgen des FC St. Pauli.

Es hätte ein Wunder durchaus geschehen können, wenn Martino Gatti in der 8. Minute seine Fähigkeiten ähnlich gebündelt präsentiert hätte wie seine Gefühle. Doch vielleicht hat sich der Exil-Berliner schon zu sehr an das solidaritätsbefördernde Leiden des verzagten Versagens gewöhnt; jedenfalls zog er es vor, von exaktem Zuspiel plus freier Schußbahn so konsterniert zu sein, daß er MSV-Torhüter Rollmann demütig in die Arme schoß. Es war die letzte 98prozentige Chance der Gäste.

Wenig später war Dieter Schlindwein (Manndecker) dem MSV-Mittelstürmer Preetz nicht gewachsen, als der in der Strafraummitte den Ball von einem talentierten Amateur namens Papic zur ersten Chance der Gastgeber erhielt. Die Partie war in der 16. Spielminute mit dem Tor des Tages entschieden.

„Geschichte wurde da geschrieben“, sagte später St. Paulis Trainer Seppo Eichkorn. Alle kühlen Köpfe kalkulieren nun mit dem Konkurs und dem Abgang in die Oberliga. Nicht einmal die zusehenden St. Paulianer scheinen noch Widerstands-Reserven in petto zu haben. Knapp ein Sechstel der 13 000 Zuschauer waren Paulianer, doch zu hören war von ihnen nichts. Nur der MSV-Anhang war doppeldeutig zu hören: "Nie mehr Zweite Liga“.

Doch halt! An dieser Stelle ist die Bemitleidung des St. Paulianischen-Niedergangs von einem wakkeren Erstlingsaufsteiger (1988) bis zu einem mutlosen, überbezahlten Zweitligaabsteiger (in spe) zu unterbrechen. Und zwar mit einer frohen Botschaft: Aufsteigen ist viel schlimmer als absteigen, glaubt man zumindest in Duisburg.

Kann und darf solche moralische Dekadenz St. Paulianer trösten? Wenn nicht, dann tun es vielleicht ein paar Abschlußworte des MSV- Trainers Ewald Lienen: „Ein Abstieg von St. Pauli wäre ein großer Verlust für den Profifußball. Das wäre sehr traurig.“ Kathrin Weber-Klüver

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