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Aus dem Kreuzberger Ghetto herauskommen

■ Freiligrath-Oberschule ruft zu gemeinsamem Wandertag gegen Rassismus auf

Berlin. Für Wolfgang Schenk, Lehrer an der Ferdinand-Freiligrath-Oberschule, ist der Berliner Schulalltag nachhaltig gestört. Erst Ende April waren türkische Schüler einer 9. Klasse und zwei Lehrer der Kreuzberger Hauptschule nach einem Besuch in Ostberlin auf dem S-Bahnhof Ahrensfelde von Skins überfallen und zum Teil verletzt worden. Um dem „Klima der Einschüchterung“ und der „Einschränkung der Bewegungsfreiheit“ entgegenzutreten, hat Schenk nunmehr zusammen mit zwei Kollegen zu einem gemeinsamen Wandertag in den Ostteil der Stadt aufgerufen.

Beim dem Anfang Juni geplanten Aktionstag, so heißt es in der vom Kollegium mitgetragenen Erklärung, sollten Ostberliner Schulklassen ihre Pendants im Westteil einladen. „Es ist vielleicht ein hilfloser Versuch, aber wir müssen endlich heraus aus dem Ghetto“, so der 45jährige zur taz. Viele türkische Schüler trauten sich schon nicht mehr in den Osten. Aus der Angst versuchten auch fundamentalistische Kräfte innerhalb der türkischen Gemeinde ihr Kapital zu schlagen: „Für viele traditionelle Familien ist es ein willkommener Anlaß, ihren Mädchen den Besuch einer weiterführenden Schule im Osten zu untersagen.“

Die Initiative der Kreuzberger Schule wird von Landesschulrat Hans-Jürgen Pokall zwar begrüßt, aber zurückhaltend kommentiert. Die Schulaufsicht müsse prüfen, ob dies in den „Gesamtrahmen eingebettet ist“. Einem von der Senatsschulverwaltung mitgetragenen Wandertag aller Schulen steht er skeptisch gegenüber: „Man darf einen solchen Aktionstag nicht von oben aufzwingen.“

„Eine gute Idee“, nennt Andreas Kirschbaum, pädagogischer Koordinator an der 5. Gesamtschule in Köpenick, gegenüber der taz den Vorschlag der Kreuzberger Lehrer. Seine Einrichtung hat mit Gewalt seine bittere Erfahrung machen müssen. Anfang des Jahres geriet die Köpenicker Gesamtschule bundesweit in die Schlagzeilen, als drei Schüler ihren Klassenkameraden Viktor Z. (16) mit einem Seil zu strangulieren versuchten. Diese Tat, aber auch die zunehmenden Gewalttätigkeiten veranlaßten nunmehr die Ostberliner Pädagogen, am 26. Mai einen Projekttag unter dem Motto „Toleranz – Ja, ich kann's“ zu organisieren. Auf dem Programm stehen auch Gespräche mit türkischen Schülern aus dem Westteil der Stadt. Gerade zu letzteren haben die Köpenicker wenig Kontakt – ein Wandertag wäre eine zusätzliche Chance, „Hemmnisse abzubauen“, so Kirschbaum. Severin Weiland

Kontakt: Ferdinand-Freiligrath- Oberschule, Bergmannstr. 60–65, 1000 Berlin 61. Tel: 2588-65 11.

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