: Die Daumenschrauben werden enger
In vielen arabischen Staaten hat sich die Lage der Menschenrechte vor der UNO-Konferenz verschlechtert / Die Opfer: Gewerkschafter, Frauen, Islamisten ... ■ Aus Kairo Karim El-Gawhary
Fieberhafte Vorbereitungen laufen derzeit bei arabischen Menschenrechtsorganisationen angesichts der bevorstehenden Weltkonferenz für Menschenrechte, die nächsten Monat in Wien stattfinden soll. Die „Arab Organisation for Human Rights“ (AOHR), eine Dachorganisation von 15 unabhängigen arabischen Menschenrechtsorganisationen, legte einen Bericht vor, der ein düsteres Bild der Lage der Menschenrechte in der arabischen Welt zeichnete.
In den wenigen Staaten, die eine begrenzte Demokratisierung zugelassen hatten, werden die Daumenschrauben wieder enger gedreht. Ägypten und Algerien haben erst letztes Jahr weitere Ausnahmeregelungen unter dem Banner des „Kampfes gegen den Terrorismus“ eingeführt. Die Militärgerichtsbarkeit bekommt einen immer größeren Raum zugesprochen. In Ägypten etwa entscheidet der Präsident nun, welche Fälle dem Militärgericht übergeben werden. Ein Recht, von dem er zunehmend Gebrauch macht.
Wahlurnen sind in vielen arabischen Staaten immer noch unbekannt. Selbst da, wo in den letzten Jahren neu gewählt wurde, wurden die Wahlergebnisse in manchen Fällen, wie zum Beispiel nach dem Sieg der Islamisten in Algerien, annulliert. Dort wurden auch die Zügel für die Gewerkschaften wieder angezogen, nachdem der Konflikt zwischen Regierung und Islamisten eskalierte. Das ägyptische Wahlgesetz für Berufsverbände wurde umgeschrieben, um zu verhindern, daß die Islamisten weitere Verbände auf demokratischem Wege unter ihre Fittiche bringen.
Die im letzten Jahrzehnt entstandenen Menschenrechtsorganisationen sehen sich vielfachen Hindernissen gegenüber. In den Golfstaaten sind sie – mit Ausnahme Kuwaits – ganz verboten. Die ägyptische Regierung verweigert ihnen die legale Anerkennung. Im Sudan sind sie zusammen mit allen anderen demokratischen Organisationen seit dem Militärputsch von 1989 aufgelöst worden. Tunesien hatte seine örtliche Menschenrechtsorganisation letztes Jahr verboten. Eine Entscheidung, die erst per Gerichtsbeschluß wieder rückgängig gemacht wurde. In Syrien, so der Bericht, seien gar die Menschenrechtsaktivisten selbst letztes Jahr eingekerkert worden.
Die Position der Frauen hat sich zum Teil ebenfalls verschlechtert. Während sie in Saudi-Arabien immer noch um das Recht kämpfen, Auto fahren zu dürfen, läuft andernorts die Diskussion unter dem Motto „Frauen zurück ins Haus“.
Als neue Herausforderungen sieht der Bericht das Ansteigen des Extremismus in der Region und die damit verbundene Gewalt in der Auseinandersetzung zwischen Regierung und religiös-extremistischen Gruppen. In Ägypten, Algerien, Tunesien und Jemen hat sich diese Situation besonders zugespitzt.
Auch die internationalen Kreditgeber werden verantwortlich gemacht. Mit ihren ökonomischen Anpassungsprogrammen nähmen sie keine Rücksicht auf die individuelle Situation in den von Arbeitslosigkeit gezeichneten Ländern. „Die minimalen Standards ökonomischer und sozialer Rechte werden aufgrund der gesellschaftlichen und ökonomischen Krisen nicht aufrecht erhalten.“
Als ein Krebsgeschwür bezeichnet der AOHR-Bericht den zunehmenden Rassismus in Europa. Die Lage habe sich für arabische Einwanderer und deren Familien verschärft, seit rassistische Organisationen die nationale kulturelle Identität und das Projekt der Zivilisation in einem Kampf mit dem sehen, was sie die „islamische Flut“ oder die „fundamentalistische Gefahr“ nennen. Sie glauben in den Einwanderern aus dem südlichen Mittelmeer einen neuen Feind entdeckt zu haben.
Besorgt äußert sich der Bericht über die zunehmenden militärischen Interventionen in der Region unter dem Vorzeichen der Menschenrechte. Diese habe zu einem Embargo des Irak und dessen Teilung in Sicherheitszonen und zu einer Fortsetzung des Flugembargos gegen Libyen geführt. Daneben wird derzeit die Möglichkeit einer militärischen Intervention in den Sudan und die Ausweitung der Maßnahmen gegen Libyen auf ein Ölexportembargo diskutiert. Die Mehrheit der arabischen Menschenrechtsgruppen verurteilt die ausländischen Interventionen ebenso wie den Doppelstandard und die Selektivität, mit dem das internationale Recht in der Region vollstreckt wird. So bleibt Israel mit seinen Verstößen gegen internationales Recht ungeschoren.
Bei der regionalen arabischen Menschenrechtskonferenz im vergangenen Monat unterstrich man nach heftigen Debatten die Universalität von Menschenrechten. Einige Regierungen nähmen die „regionalen Besonderheiten“ zum Vorwand, um der internationalen Kontrolle von Verträgen und Dokumenten über Rechte und Freiheiten zu entgehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen