: Hamburgs Senat im Entscheidungsrausch
■ Elf Erfolgsmeldungen an einem Tag / Millionen für soziale Brennpunkte / Bürgerschaft: weiterhin Lethargie oder wie?
/ Millionen für soziale Brennpunkte / Bürgerschaft: weiterhin Lethargie oder wie?
Nun aber Kartoffel, Kartoffel, hurtig, hurtig. Rechtzeitig zu Beginn des Wahlkampfs schmeißt Hamburgs Senat den Turbo an, trifft eine Entscheidung nach der anderen, um auch dem letzten Wähler klar zu machen, wo er bei den anstehenden Neuwahlen sein Kreuzchen machen soll. Sage und schreibe elf Presseerklärungen landeten gestern auf den Tischen der Landespressekonferenz. Alle fein säuberlich verziert mit Jubelüberschriften Marke „ein großer Schritt“, „weiterhin reformfreudig“, „rasche Fortschritte“ etc. pp.
Unter den Beschlüssen, die das Kollektiv gestern in einem dreiköpfigen Senatorenschaulaufen vorstellte, fand sich Nebensächliches ebenso wie fast Verstaubtes - so das seit Monaten schmorende
° Programm „Soziale Brennpunkte“, das Initiativen, Stadtteilläden, Jugendklubs und Elternschulen in den Stadtteilen St. Georg, Altona- Nord, Karo-Viertel, Schanzenviertel, Dulsberg und Jenfeld fördern soll. Inhalt der Finanzgießkanne: rund acht Millionen Mark.
Nach eineinhalbjährigem Hin und Her ebenfalls beschlossen
° die Umwandlung der Stadtreinigung in eine Anstalt des öffentlichen Rechts - „ein großer Schritt der Verwaltungsreform“. Eine Halb-Privatisierung der städtischen Putzkolonnen, die künftig effizienter und marktgerechter arbeiten sollen. Das hofft jedenfalls Umweltsenator Fritz Vahrenholt.
Weitere Auszüge aus dem Notenbuch der Senats-Wahlkampf-Jubelarie:
° „Eine neue Heimat für die Bille- Siedler“, für die 65 Häuser in Moorfleet gebaut werden sollen,
° „Grünes Licht“ für eine psychiatrische Abteilung im Krankenhaus Harburg,
° ein Bebauungsplan für 220 Wohnungen in der Nähe des Umweltzentrums Karlshöhe,
° „die Einleitung vorbereitender Untersuchungen“ zur Sicherung preiswerten Wohnraums in St. Pauli Nord,
° eine neue Ausbildungsordnung für Juristen, die das Studium durch kürzere Referendarszeiten, weniger Prüfungsstoff und Abschaffung der studienbegleitenden Leistungskontrollen straffen soll.
Ob die „unter großem Zeitdruck“ (Justizsenatorin Peschel- Gutzeit) gefallenen Senatsentscheidungen allerdings auch ebenso geschwind umgesetzt werden können, ist fraglich. Sie müssen nämlich noch von der Bürgerschaft abgesegnet werden. Und die befindet sich noch immer im Stadium erheblicher Selbstzweifel. So stieß den Liberalen und den Grünen bei Durchsicht der Tagesordnung für die heutige Bürgerschaftssitzung sauer auf, daß auch die Verabschiedung von drei Gesetzen (Feuerkassengesetz, Hamburgisches Wegegesetz, B-Plan Iserbrook/Süllberg) vorgesehen ist. Und das darf das Parlament derzeit nicht, so der Hinweis der beiden Kleinen. Daraufhin fühlte sich die SPD-Fraktion gestern abend zu einer neuerlichen Prüfung genötigt.
Erst heute morgen wird der Ältestenrat entscheiden, ob trotzdem nach dem Prinzip „Augen zu und durch“ verfahren wird oder einzelne Punkte oder gar die ganze Sitzung erneut vertagt werden. Dies wiederum hätte die CDU nicht gerne: Sie möchte zwar auch keine Gesetze verabschieden, aber ihre Kontrollfunktion wahrnehmen. Im Kummerkasten (S. 20) ist nachzulesen, was die CDU ansonsten noch zum Senat zu sagen hat. uex/sako
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen