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Kino der Kulleraugen

■ „Mein Vater – Mein Freund“ von Marshall Herskovitz

Wer das Monster spielt, weiß, wie erschreckend harmlos der Horror sein kann – und wie grausam manchmal die Wirklichkeit ist. Denn das tatsächliche Entsetzen läßt sich am leichtesten hinter einer Fratze verstecken. John Leary (Danny DeVito) trägt einen kleinen Horrorbauchladen mit sich spazieren, um von den wirklichen Abgründen seines Lebens abzulenken. Daheim erschreckt er die Nachbarskinder, und auf der Mattscheibe spielt er den Horror- Clown, der mit allerlei Theaterblut und Gummimessern alten Gruselklassikern die Ehre erweist.

Sein Sohn John junior, auch Jack der Bär genannt, liegt nachts wach und sieht dem Vater beim schaurig-abstrusen Handwerk zu. Wenn Vampir-Vati dann nach Hause kommt, erlebt John den echten Horror vacui. Sein Vater sitzt in der Küche und spült die Leere nach der Show mit Tequila hinunter. Dem spukenden Fernsehmoderator und seinen beiden Söhnen fehlt die Mutter. Sie ist nach einem Streit mit dem Wagen in den Tod gerast. Jetzt überspielen die Zurückgebliebenen die grausige Erinnerung mit pubertären Späßen. Drei Männer, alle Babys. An der Flasche hängt aber nur noch der Vater.

„Mein Vater – Mein Freund“ erzählt wie „Leolo“ oder „Toto der Held“ die Geschichte einer nicht ganz einfachen Kindheit aus der Perspektive des Heranwachsenden. Kino der Kulleraugen. Zunächst sieht Jack seine Nachbarschaft mit den großen staunenden Blicken eines Jungen, der nicht genug bekommen kann von dieser Welt. Die abenteuerlichen Verstecke in fremden Gärten. Die kleinen Streiche der Nachbarskinder. Doch Regisseur Marshall Herskovitz hält es nicht lange aus bei den letzten Freuden einer schon brüchigen Familienidylle. Nach und nach bricht sich der echte Horror Bahn – die Banalität der familiären Eintönigkeit entgleist ins Monströse, ohne allerdings tatsächlich weh zu tun. Plötzlich wollen die Großeltern die angeblich verwahrlosten Jungen zu sich nehmen. Der Vater verliert seinen Job als Monster-Moderator – als Symbol dieser Zerrüttung der Verhältnisse beginnt eine wie aus der Unterwelt emporgestiegene Armada von Bauarbeitern die bis dahin friedliche Anwohnerstraße aufzureißen. Unter dem Pflaster liegt eine schlimme Wirklichkeit. Mit sozialpädagogischem Eifer nähert sich Herskovitz einer schwierigen Sozialisation. Hollywood, nah an den Sorgen der amerikanischen Mittelklasse Anfang 70er.

Der Film hat viel von der gegenwärtigen Tendenz Hollywoods, Themen auf ihren sozial relevanten Gehalt abzuklopfen. Da schwingt etwas vom Eifer einer politischen Korrektheit mit, die ja nichts falsch machen will. Doch zur fast schon peinlichen Zurschaustellung dieser lauteren Absicht reicht die Schilderung familiärer Deformation noch nicht aus. Der mehr als undurchsichtige Nachbar mit dem großen Hund offenbart sich zu Halloween als echter Nazi. Durch diese Demaskierung des wahren Bösen sieht sich John der Ältere dazu veranlaßt, den Teufel Faschismus via Fernsehkanal auszutreiben – endlich eine echte Herausforderung im sonst doch so vagen Bereich des telegenen Übels.

Über die gemeinschaftliche Aufgabe, den bösen Nachbarn zu überführen, geraten die familiären Defizite rasch aus dem Blickfeld. Vom Glanz der Stars mag inzwischen nur noch der schwache Schimmer fragender Kinderaugen übrig geblieben sein. Doch in der gemeinsamen Überwindung einer äußeren Gefahr findet man wieder zu sich. Das wäre in der Tat der größte Horror: Hollywood diese naive Hoffnung auf Heilung sozialisationsbedingter Schäden zu nehmen. Christof Boy

Marshall Herskovitz: „Mein Vater – Mein Freund“, USA 1992. Mit Danny DeVito, Robert J. Steinmiller, Gary Sinise u.a., 100 Min.

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