: Katerstimmung statt Jubelschreie
■ Nur 46 Prozent waren bei der Urabstimmung für den Tarifkompromiß / Prestigeverlust für IG Metall
Ungeachtet der rund 46prozentigen Zustimmung zum Tarifkompromiß für die Elektro- und Metallbranche in Ostberlin und Brandenburg muß die IG Metall offenbar mit einem erheblichen Prestigeverlust rechnen. Zu den in den Vortagen angekündigten zahlreichen Gewerkschaftsaustritten scheint es hingegen noch nicht gekommen zu sein. Dies ergab eine Umfrage nach der Abstimmungsbekanntgabe in Brandenburger Metallbetrieben und IGM-Geschäftsstellen.
„Wir wurden von der Gewerkschaftszentrale ausgeknockt“, sagte Karl Heinz Graffenberger, Betriebsrats-Vize der AEG Schienenfahrzeugbau Hennigsdorf. Unter der 3.000 Mann starken Belegschaft im größten Metallbetrieb Brandenburgs machte Graffenberger eine „mehrheitliche Ablehnung“ des Tarifkompromisses aus. Die Chance zur weiteren Meinungsbildung sei der Basis jedoch genommen worden, da die IGM- Spitze „von heut auf morgen“ die Urabstimmung eingeleitet und zudem von vornherein ein „Ja“ empfohlen habe. Den Tarifkompromiß, wonach die Löhne und Gehälter bis Mitte 1996 stufenweise auf Westniveau steigen, bezeichnete Graffenberger als „gewerkschaftliche Niederlage“. Vor allem mit der Zustimmung zur Härteklausel habe die IGM ihre Position „Lohnverzicht rettet keinen Arbeitsplatz“ verraten. Dies sei wirtschaftlich und politisch „kaum zu vermitteln“.
Der Oranienburger IGM-Bevollmächtigte Philipp Becker bekräftigte, die Chance eines eigenständigen Tarifweges für Berlin- Brandenburg aufgrund des unmittelbaren Nebeneinanders von Ost- und Westarbeitnehmern sei vertan worden. Die Gewerkschaft habe „zu spät erkannt“, daß Politik und Arbeitgeber mit dem Sachsen- Kompromiß einen „strategischen Tatbestand“ geschaffen hatten, an dem es „nur schwer ein Vorbei“ gegeben habe. Aus diesem Fehler müsse die Gewerkschaft lernen und ihre Tarifpolitik in den einzelnen Bezirken künftig besser abstimmen.
Nach Ansicht von Hans-Jürgen Zippro, Betriebsratschef der Kranbau GmbH Eberswalde, war es bereits ein Fehler der Gewerkschaftsspitze, den schon beschlossenen Metallerstreik nach dem Dresden- Kompromiß auszusetzen. „Wir hätten mehr erreichen können“, die unentschlossene Haltung der Führung habe dies jedoch verhindert.
Ungeachtet des breiten Unmuts über den Tarifabschluß blieben die im Vorfeld der Urabstimmung debattierten Gewerkschaftsaustritte“ aus. Günter Kohlbacher, IGM-Bevollmächtigter in Frankfurt (Oder), sagte, zwar herrsche „keine Jubelstimmung“, für Austritte gebe es jedoch „keine Anzeichen“. Becker sprach von einem „ungebrochen hohen Vertrauen“ in die Gewerkschaftsarbeit vor Ort. Die Arbeiter würden „sehr wohl zwischen der IGM-Spitze und dem Tun an der Basis unterscheiden“. Holger Paech/ADN
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