: Der Garten Eden ist nur noch Historie
■ 100 Jahre Genossenschaft Eden: Zum Jubiläum der Sündenfall des Verkaufs an den Chemiekonzern Sandoz
Blasmusik wird es an diesem Wochenende geben, Kinder werden Blumen sammeln zum Schmücken des Festplatzes, und am Samstag abend gibt es ein Laienspiel auf der Bühne: Eden – das Paradies, das bei Oranienburg liegt, feiert sein einhundertjähriges Bestehen.
Zweihundert Morgen Land vor den Toren Berlins kauften 1893 achtzehn durchaus bürgerliche Honoratioren, um den Aasfressern zu zeigen, was eine vegetarische Harke ist. Es bedurfte zwar einer Anlaufzeit von nahezu zwei Jahrzehnten, doch dann war die erste Ökorepublik – der Boden wurde unveräußerlich einer Genossenschaft übereignet – trotz des miserablen Bodens ein Riesenerfolg. In den dreißiger Jahren hatte Eden 450 Genossen und über 1.000 Einwohner, die jeweils auf Parzellen von knapp 3.000 Quadratmetern ihr Häuschen bewohnten. Die „Oranienburger Bau- und Creditgesellschaft“ wurde eigens gegründet, um mittellosen Siedlern günstige Kredite zum Häuslebau zu leihen. Bald entstanden ein eigener Kindergarten, eine Grundschule und Gemeindeeinrichtungen. Und auch ein Hotel wurde eigens errichtet.
In Eden lebte eine bunte Mixtur von Reformpädagogen, Anthroposophen, Vegetariern und Vorkämpfern der sozialistischen Bodenreform unter dem bereits 1914 geschaffenen Markenzeichen Edens: drei stilisierte Bäume, die für Lebensreform, Bodenreform und Wirtschaftsreform stehen. Viele Jahre bis zu seinem Tod 1930 wohnte auch der Wirtschaftsreformer Silvio Gesell in Eden, der dem Kapitalismus den Zins unter den Füßen wegziehen wollte.
Auch wirtschaftlich florierte das Projekt: Im großen Maßstab produzierten die Genossenschafter Saft und Marmelade – und natürlich die legendäre „Eden“-Pflanzenmargarine.
Schluß mit der paradiesischen Herrlichkeit war 1933: Die bis dahin eine wichtige Rolle spielenden jüdischen Genossen wurden vertrieben, eine Familie ins Konzentrationslager deportiert. Nur die Eden-Margarine durfte trotz Kriegszeiten mit Ausnahmegenehmigung weiterproduziert werden: Hitler aß vegetarisch. In der DDR wurde Eden ins sozialistische Planschema eingepreßt und mußte die Jahrespläne erfüllen. Ein Teil der Betriebe wurde ganz volkseigen.
Allerdings funktionierte bis in die Wendezeit ein Joint-venture mit ehemaligen Eden-Bewohnern, die in Hessen einen Biohandel betrieben. Eden brachte sein Markenzeichen und die alten Kundenlisten ein, und die Wessis hatten das Kapital. Vom lukrativen Geschäft der Wessis – in den achtziger Jahren etwa 200 Millionen Mark jährlich – hatten die Eden-Genossen freilich wenig: Sie wurden immer mehr an die Wand gedrückt. Ihr Anteil an der Firma betrug beim Ende der DDR nur noch ein Drittel. Ganz am Ende ist Eden seit 1991: Da übernahm der Schweizer Chemie-Multi und Rheinverschmutzer Sandoz zunächst die westdeutsche Firma. Und auch die Genossen in Eden verkauften an den Multi.
Die Kolonie Eden ist wieder ein begehrtes Plätzchen zum Wohnen im Grünen geworden, weil die Parzellen spekulationssicher sind. Das erste Alternativprojekt Deutschlands aber ist endgültig Historie. Gerd Nowakowski
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