■ Das Portrait: György Ligeti zum 70. Geburtstag
Auf die Frage, was für ihn das vollkommene irdische Glück sei, antwortete er: „Mitten im Komponieren zu sein, wenn das vorgestellte Musikstück allmählich deutliche Gestalt annimmt.“ Dennoch hätte er gerne etwas anderes als Komponist sein mögen, nämlich „Forscher, früher im Bereich der Biochemie, jetzt eher im Bereich der künstlichen Intelligenz“. Tatsächlich ist er beides – Klangerfinder und Musikforscher.
Foto: Horst Tappe/Ullstein
(Irrtümern vorzubeugen, weisen wir darauf hin, daß dies eine Fotografie mit Herrn Ligeti darauf ist und nicht eine mit dem vorwiegend Lyriker Karl Alfred Wolken darauf, darüber wäre eine Lied zu singen, der auch noch keine 70 ist, aber der Gemahl von Elisabeth Wolken, der ehemaligen Direktorin der Villa Massimo in Rom, darüber wäre eine Lied zu singen, die nun ja wieder Direktorin ist, darüber wäre eine Lied zu singen, aber vielleicht auch nicht, und vielleicht gerät sie ja bis zur Klärung dieser Frage ins Pensionsalter. d.Red.)
Der am 28. Mai 1923 im rumänischen Siebenbürgen als Kind jüdischer Ungarn geborene Ligeti schreibt Musik von vertrackter Kompliziertheit. Wenn er daraus alles Düstere, Pathetische verbannt, dann entspricht das einer Art von Vergangenheitsbewältigung: Nur durch Glück entging er der Deportation nach Auschwitz, wo Vater und Bruder ermordet wurden. Nach dem Ungarn- Aufstand 1956 floh er auch von dort.
Im Westen löste Ligeti 1961 mit seiner Klangflächenkomposition „Atmosphère“ allergrößtes Erstaunen aus, überwand er doch damit die in die Sackgasse geratene serielle Musik. Später kamen Experimente mit der Polytempik hinzu – nicht mehr einzelne Töne, sondern Tonmuster werden durch das rasante Spiel wahrgenommen. Er bezeichnet sich selbst als „antiideologischen Musiker“, politisch wie musikalisch: „Ich will tun, was für mich zwingend ist. Dabei verkünde ich keinen Weg und keinen Stil.“
Ligeti glaubt nicht an eine Antinomie tonal/atonal. Er akzeptiert traditionelle Formen und forscht auf dem Gebiet ethnischer Musik. Eine Oper („Le Grand macabre“) hat er ebenso komponiert wie das „Poême symphonique“ für 100 Metronome. Ligeti demonstriert, wie unverkrampft sich mit der tönenden Welt umgehen läßt – mit einer Spur Scharlatanerie. Nora Eckert
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