: Flüchtlinge lesen nicht das Grundgesetz
■ Nach der Einschränkung des Asylrechts durch den Bundestag werden kaum weniger Flüchtlinge eintreffen
Bonn/Berlin (AP/dpa/epd/taz) Die vom Bundestag verabschiedete Asylrechtsänderung wird nach Einschätzung von Experten die Zuwanderung von Flüchtlingen nach Deutschland nicht stoppen. Der deutsche Vertreter beim UN-Flüchtlingskommissariat, Walter Koisser, erklärte gestern, Deutschland sei durch die neue Regelung nicht „abgeschottet“. Der Zugang werde aber erheblich schwieriger. Der hessische Verwaltungsrichter Günter Renner sagte voraus, das neue Asylrecht werde die Einreise von Flüchtlingen nicht entscheidend drosseln. Er äußerte Zweifel an der Wirksamkeit der Änderung, weil Flüchtlingen „in den meisten Fällen“ eine Einreise über Drittstaaten nicht nachzuweisen sei. De facto würden die Flüchtlinge in Deutschland bleiben, nun allerdings ohne gesicherten Rechtsstatus.
Der Bundestag hatte am späten Mittwoch abend mit 521 Stimmen der Einschränkung des Artikels 16a im Grundgesetz zugestimmt. 132 votierten dagegen, ein Abgeordneter enthielt sich. Der neue Verfassungsartikel und die Begleitgesetze legen vor allem fest, daß Flüchtlinge kein Anrecht auf ein Asylverfahren haben, wenn sie aus einem EG-Land oder aus einem der als sichere Drittländer angesehenen Nachbarstaaten Deutschlands kommen. Sie können sofort abgeschoben werden.
Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl hat Bundespräsident Richard von Weizsäcker aufgefordert, die vom Bundestag mit Zweidrittelmehrheit beschlossene Grundgesetzänderung zum Asylrecht nicht zu unterschreiben. Ihr Sprecher Herbert Leuninger kündigte gestern ein Rechtsgutachten dazu an, wie Flüchtlinge stärker als bisher über Artikel 1 (Würde des Menschen) und Artikel 2 (Entfaltung der Persönlichkeit) geschützt werden könnten. Amnesty international kritisierte, daß politisch Verfolgte durch die Neuregelung weitgehend schutzlos würden.
Das polnische Parlament hat unterdessen den am 7. Mai unterzeichneten deutsch-polnischen Asylvertrag gerügt. Bei einer Abstimmung am Mittwoch abend waren 162 Abgeordnete mit dem Regierungsbericht zum Vertrag nicht einverstanden. 120 Abgeordnete billigten den Bericht, 77 enthielten sich der Stimme. Das Abstimmungsergebnis hat keinen praktischen Einfluß auf die Verwirklichung des Asylvertrages. Es zeugt jedoch von einer kritischen Einschätzung der Verhandlungsergebnisse mit Bonn.
Das tschechische Außenministerium hat gestern mit Verständnis auf den vom Bundestag verabschiedeten Asylkompromiß reagiert. Doch dürfe die Bundesrepublik die Probleme ihrer inneren Sicherheit nicht auf Kosten der Tschechischen Republik lösen.
Das Schweizer Bundesamt für Flüchtlinge rechnet mit einem Anstieg der Asylsuchenden. Es sei zu erwarten, daß die Zahl der Flüchtlinge, die einen Antrag auf Asyl stellen werden, zwischen den 18.000 des letzten Jahres und den über 41.000 im Rekordjahr 1991 liegen werde.
Siehe auch Seite 13
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