: Pflegeversicherung kommt ab 1994 stufenweise
■ Ambulante Pflege wird ab '94, Pflege im Heim ab '96 finanziert / Regierungskoalition plant fünf oder sechs Karenztage pro Jahr
Bonn (dpa/AP/AFP) – Die Bonner Regierungskoalition hat sich auf die stufenweise Einführung einer Pflegesozialversicherung verständigt. In einem ersten Schritt sollen ab 1994 die Regelungen für die ambulante Pflege in Kraft treten. Für Pflegefälle, die zu Hause versorgt werden, wird dann je nach Pflegebedürftigkeit ein Pflegegeld von monatlich 400, 800 oder 1.200 Mark bezahlt. Für betreuende Angehörige sollen Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung finanziert werden. Ab 1996 soll die Pflegeversicherung auch für die Kosten der stationären Pflege, maximal 2.100 Mark monatlich, aufkommen.
Die Gesamtzahl der Krankheitstage ohne Lohn soll auf jährlich fünf oder sechs begrenzt werden. Die Arbeitnehmer sollen die Möglichkeit haben, statt dessen auch auf Urlaubstage zu verzichten. Bei Schwangerschaft, Berufskrankheiten und Berufsunfällen soll der Lohn vom ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit an weiterbezahlt werden. Die Karenztage sollen den Beitrag der Arbeitgeber zur Pflegeversicherung ausgleichen.
Am Donnerstag abend sollen die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und FDP in Sondersitzungen über die Vorlage beraten. Der Gesetzentwurf soll bereits im Juni in erster Lesung im Bundestag beraten werden. Die Einführung von Karenztagen ist auch in den Reihen von FDP und CDU nach wie vor umstritten. Dagegen sprach sich neben der baden-württembergischen CDU-Fraktion auch der Vorsitzende der FDP- Landtagsfraktion in Baden-Württemberg, Walter Döring, aus. Döring äußerte den Verdacht, daß FDP-Chef Lambsdorff mit diesem Modell „auf Zeit spielen“ wolle, da eine Ablehnung durch die Mehrheit der SPD-regierten Länder im Bundesrat absehbar sei.
Der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder (SPD) empfahl seiner Partei, die Karenztagsregelung im Bundesrat zu Fall zu bringen. Er sprach sich dagegen aus, die Einführung von Karenztagen mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht zu verhindern. Er halte nichts von der „Verrechtlichung der politischen Auseinandersetzung“. Auch der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Rudolf Dreßler bezeichnete die Einführung von Karenztagen als politisch nicht durchsetzbar.
Nach den Plänen der Regierungskoalition soll der Beitragssatz für die Pflegeversicherung unter dem Dach der gesetzlichen Krankenkassen zunächst 1,0 Prozent vom Bruttomonatseinkommen betragen. Wenn ab 1996 die Leistungen bei Heimpflege einbezogen werden, soll der Beitragssatz auf 1,7 Prozent steigen. Wer privat krankenversichert ist, soll sich auch privat gegen das Pflegefallrisiko versichern.
Die Regierungskoalition beabsichtigt auch, die Kommunen zur Finanzierung heranzuziehen. Sie sollen jährlich drei Milliarden Mark der eingesparten Pflegeaufwendungen für die neue Versicherung zur Verfügung stellen. Darüber müsse zwischen Bund und Ländern noch verhandelt werden.
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