: Statt Dach Krach überm Kopf
■ Bei Privatmodernisierungen gehen Modernisierung und Wohnraumzerstörung oft Hand in Hand
Die Bauarbeiter kamen im vergangenen November wie aus heiterem Himmel. Ohne Vorwarnung und auch ohne die vorgeschriebene Modernisierungsankündigung ließ ein bisher unbekannter Eigentümer seine Brigade auf die verdutzten MieterInnen der Boxhagener Straße 105 in Friedrichshain los. Die Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain (WBF), unter deren Verwaltung das Haus zu diesem Zeitpunkt noch stand, erklärte lapidar, daß „die zur Zeit vorgenommenen Baumaßnahmen durch die WBF weder beauftragt, noch genehmigt wurden“.
Den Betroffenen blieb nichts anderes übrig, als die Öffentlichkeit zu alarmieren. Eine Ortsbesichtigung der Berliner MieterGemeinschaft brachte das zwischenzeitliche Resultat der „Modernisierung“ ans Licht: die Zwischenwände der leerstehenden Wohnungen waren eingerissen, selbst bewohnte Wohnungen waren aufgebrochen worden. Von den ursprünglich zwölf Mietparteien im Hinterhaus wohnten nur noch drei Mieter im Gebäude, denen zu allem Unglück einen Monat lang die Gas-, Wasser und Stromleitungen gesperrt wurden. Der Treppenwitz am Rande: dem modernisierungswilligen Hausherrn wurde lediglich von einem Teil der im Grundbuch eingetragenen 13köpfigen Erbengemeinschaft das Haus zum Kauf angeboten.
Die Modernisierungswelle rollt
„In vielen Fällen“, weiß Rolf Matthes von der Berliner MieterGemeinschaft, „haben Bauarbeiten zunächst weniger eine Modernisierung zum Ziel, als vielmehr die Mieter einzuschüchtern oder zu vergraulen.“ Der Grund: In leeren Wohnungen kann sich niemand wehren, der Eigentümer kann jeden erdenklichen Schnickschnack einbauen und die Miete steigt ins Unbezahlbare. „Bei Privatmodernisierungen in Friedrichshain“, so die Erfahrung der Mieterberatung ASUM, „pendelt sich das Preisgefüge bei 16 Mark pro Quadratmeter ein“. In einigen Fällen, wie in der Mainzer Straße 3, sind es auch schon mal knapp an die 30 Mark. „Doch der Markt“, klagt die Beratung, „gibt solche Preise her“.
Sind es in Friedrichshain bisher allerdings nur neun Häuser, deren Privatmodernisierung abgeschlossen ist, so kann man im Prenzlauer Berg bereits vom Beginn einer Modernisierungswelle sprechen. „Allein aus unserer Beratung“, meint Silvia Hoehne vom Mieterberatungsverein „Neue Aufgaben“, „sind uns dreißig Modernisierungen bekannt.“ Doch die Zahl dürfte weitaus höher liegen. Einen genauen Überblick gibt es nämlich kaum. Anders als bei Umwandlungen in Eigentumswohnungen oder der Zweckentfremdung von Wohnraum, müssen Modernisierungsarbeiten vom bezirklichen Bauamt nicht genehmigt werden. Die Bezirksvertreter erfahren oft genug erst von den betroffenen Mietern, was sich unter dem Deckmantel der Sanierung oftmals in den Häusern abspielt.
Baufreiheit für Modernisierung
So auch in der Christburger Straße 5. „Ende April“, berichtet ein Mieter, „hörte ich in der Wohnung über mir Lärm, der nur von Bauarbeitern herrühren kann.“ Zur Rede gestellt, erklärten die Bauarbeiter, sie hätten den Auftrag, „Baufreiheit für Modernisierungsarbeiten“ herzustellen. Im Besitz aller Schlüssel für das Hinterhaus, hatten die Arbeiter dagegen in allen leeren Wohnungen die Fenster und Öfen zertrümmert sowie die elektrischen Leitungen herausgerissen.
Von der Zwangsverwaltung in private Hände
Auch hier war die neue Eigentümerin noch nicht im Grundbuch eingetragen, obwohl der Wohnungsbaugesellschaft Prenzlauer Berg (WIP) bereits im März 1992 der Verwaltungsauftrag gekündigt worden war. Anders als die Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain reagierte die Wohnungsbaugesellschaft Prenzlauer Berg auf die Zerstörungen zumindest mit einer Strafanzeige gegen die Eigentümerin wegen „Baugefährdung“. Aussicht auf Erfolg räumt aber auch ein Justizsprecher dieser Klage nicht ein.
Nachdem mit der Änderung des Vermögensgesetzes 44.000 ehemals kommunale Wohnungen in Ostberlin aus der Zwangsverwaltung entlassen, d.h. an ihre Privateigentümer zurückgegeben wurden, beginnt sich das Modernisierungskarussel zu drehen. „Ein Viertel der Häuser“, so die Erfahrung des Koordinierungsbüros Mitte, einer Eigentümerberatung im Rahmen der öffentlich geförderten Modernisierungsprogramme, „werden sofort wiederverkauft, über die Hälfte der Eigentümer ist unentschlossen, was mit dem Grundstück geschehen soll.“
Für die Mieter sind Hausverkäufe meist der Anfang vom Unglück. Die Millionenbeträge, mit denen die Gründerzeitgebäude der Berliner Innenstadt mittlerweile über den Tisch gehen, schaffen selbst für seriöse Käufer einen Verwertungsdruck, der mit den bisherigen Mieteinnahmen nicht zu erzielen ist. Die Folge: Dachgeschoßausbau, Zweckentfremdung und eben: lukrative Modernisierungsarbeiten, bei denen elf Prozent der Baukosten jährlich auf die Miete umgelegt werden können. Daß die Modernisierung dabei oft auf Kosten der Instandsetzung geht, ist ein offenes Geheimnis. Schließlich sind Instandsetzungarbeiten, anders als Modernisierungen nicht auf die Miete umzulegen. „Das führt dazu“, sagt MieterGemeinschaftsvertreter Matthes, „daß nicht selten ein Luxusbad gebaut wird, während die Bodenbalken weiter vor sich hin schimmeln.“
Wie die Mieterberatungsgesellschaften, fordert auch Rolf Matthes, die Modernisierungsumlage von elf auf sieben Prozent zu kürzen. Außerdem, so auch das Ergebnis eines „Runden Tisches Stadterneuerung“, sei zu überlegen, ob nicht, wie in anderen Staaten bereits üblich, ein gesetzliches Recht auf Mietermodernisierung geschaffen werden kann. „Damit“, so Matthes weiter, „könnte auch die Spekulation mit Privatmodernisierungen merklich abkühlen.“ Uwe Rada
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