: Frau, Körper und Krieg
■ Die US-Philosophin Sara Ruddick zu „mütterlichem Denken“ und Gewaltlosigkeit
Der Buchtitel ist doppelt irreführend und wahrscheinlich sogar verkaufsschädigend. „Gewaltlosigkeit“? Zum Glück gehört Sara Ruddick, Mutter und Philosophiedozentin aus New York, eben nicht zu jenen, die immer noch den neoromantischen Quark breittreten, Frauen und Mütter seien friedfertig, gewaltlos, aufopfernd, mithin der Inbegriff vom guten Menschen. „Mütterliches Denken“? Als Anhängerin von Wittgenstein und Habermas ist Sara Ruddick überzeugt, daß das Denken aus der sozialen Praxis erwächst, Wahrheit somit immer relativ und perspektivisch ist und in Relation zur Praxis steht, aus der sie entstammt. Am Anfang ihres Buches steht deshalb eine Frage, die die herkömmlichen Wissenschaften trotz möglicher weitreichender Konsequenzen bisher völlig vernachlässigt haben, nämlich die, ob die „Strategien, Kinder zu beschützen, zu umsorgen und zu erziehen“, ein bestimmtes Denken hervorbringen. Doch der Autorin fällt es offensichtlich schwer, eine klare Antwort zu geben, statt dessen müssen wir Lesenden uns streckenweise durch eine Ansammlung von Banalitäten kämpfen. Zum Beispiel die, daß Mütter stets „wachsam“ und „fürsorglich“ sein müssen, indem sie „gleichzeitig festhalten und Veränderungen begrüßen“, daß „nicht alle Tage Sonntag ist“ und Kinder leider „nicht einfach gut“ sind. Ruddick spricht es nirgends aus, aber vielleicht ahnt sie ja doch, daß sie das aus ihrer eigenen Praxis erwachsene Denken einer privilegierten weißen Mittelschichtsfrau mit zwei Kindern nur um den Preis verfälschender Abstraktionen auf den gleichen Nenner bringen kann wie das Denken einer – sagen wir – schwarzen Mutter von elf Kindern in der Sahelzone.
Zumindest aber fällt sie nur selten auf Romantizismen herein. „Frieden wird, genau wie das Muttersein, auf sentimentale Weise geehrt und im stillen oft genug verachtet“, schreibt die Philosophin, die genau weiß, daß es weder den absoluten Frieden noch die absolute Mutterliebe gibt, sondern nur die „wachsende Fähigkeit, Ambivalenz auszuhalten“. Genauso ist ihr bewußt, daß das Bild von den gewalttätigen Männern und den friedfertigen Frauen nichts als ein Klischee ist: „Frauen, und besonders auch Mütter, haben den Gewalttätigen unserer Welt gedient und sie gesegnet, während sie gleichzeitig die Gewalt, der sie selbst dienten, geleugnet haben.“ Mehr als „eine Wahrheit im Werden“ sei die mütterliche Gewaltlosigkeit nicht.
Das Buch wäre des Weiterlesens nicht wert, wenn nicht noch die höchst anregenden „Geschichten vom menschlichen Fleisch“ folgen würden. Die abendländische Auffassung von Vernunft, so die Autorin, sei von jeder beunruhigenden Erinnerung an Geborensein, Sexualität und Sterblichkeit gereinigt worden. Diesem männlich-sterilen „Körper der Vernunft“ stellt sie eine weibliche Einheit von Körper und Denken gegenüber, in deren Mittelpunkt die „Gebärarbeit“ steht. Von Aristoteles und Platon angefangen, hätten die Philosophen „für sich eine höhere Schaffenskraft in Anspruch“ genommen, um die Abhängigkeit, aus der sie selbst hervorgingen, zu leugnen. Eine Abhängigkeit, die zudem von Beginn an das Ende erinnert: „Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit“ (Hiob 14,1).
Diese Verleugnung der Körperlichkeit, diese radikale, im Wortsinn un-menschliche Trennung zwischen Körper und Geist in der abendländischen Philosophie hat jedoch den Krieg als Mittel mitlegitimiert: „Der Körper der Vernunft– in Abwesenheit der gebärenden Frau entstanden – ist bereit, zum militärischen Instrument zu werden“, zum „Körper des Krieges“. Ein solcher Wahnsinn kann Müttern nicht unterlaufen, glaubt Ruddick, weil sie genau wissen, daß es hoffnungslos wäre, bei der Versorgung ihrer Kinder zwischen Geistigem und Körperlichem unterscheiden zu wollen. Aber, so schränkt die Autorin ein: „Die Allgegenwart des Leibes und die reiche Körpererfahrung mit Kindern garantiert jedoch noch nicht, daß Mütter Achtung vor dem Körperlichen empfinden ... Das größte Hindernis für die Achtung der Mütter vor dem Körper sind die Beleidigungen und Mißhandlungen, denen weibliche Körper ausgesetzt sind.“ Ute Scheub
Sara Ruddick: „Mütterliches Denken. Für eine Politik der Gewaltlosigkeit“. Campus Verlag, Frankfurt/Main 1993, 240 Seiten, 38 DM
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