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"Hört uns bloß auf mit Lichterketten ..."

■ Nach Solingen: Stimmen aus dem Schanzenviertel / Volkshaus ruft zum Laden- und Schul-, und Kindergartenboykott

/ Volkshaus ruft zum Laden- und Schul-, und Kindergartenboykott

Volkshaus der Türkei, gestern mittag. Unten auf dem Parkplatz an der Feldstraße drängeln sich die Flohmarktbesucher, Deutsche, Türken, Kurden, Afrikaner. Zwei Etagen höher, in den Räumen des Vereins, wird stumm Zeitung gelesen, kurdische und türkische Blätter. Unübersehbar auf dem Titel: der abgebrannte Dachstuhl des Solinger Fachwerkhauses.

Schon wieder ein Symbol. Rostock, Mölln und dann das. „Das waren keine Einzeltäter, Bonn ist mitschuldig“, sagt der Sozialarbeiter Irfan Cüre. Der Asylkompromiß sei nur der letzte Schritt, ein Signal für die Faschisten gewesen. Der Mord an fünf unschuldigen Menschen sei so eine Provokation, da sei jede Reaktion legitim. Man hat bereits demonstriert, am Samstag, am Sonntag, hat sich getroffen, ein Kommitee gegründet. Am Mittwoch sollen alle ausländischen Läden dicht machen, Schüler nicht zur Schule gehen, Studenten und Arbeiter streiken.

Irfan Cüre ist ruhig und beherrscht, andere sind wütender. „Die Deutschen sind feige“, sagt eine Studentin. Sie habe erst vor fünf Tagen erlebt, daß zwei Skin- heads am Barmbeker Bahnhof einen von acht deutschen „Flower-Power-Jugendlichen“ angriffen. Außer ihr selbst habe sich keiner getraut, dem Jungen zu helfen. Eine solche Feigheit würde es unter türkischen Jugendlichen nicht geben.

„Wenn die Deutschen jetzt nochmal auf die Idee kommen, Lichterketten zu machen, ist das die größte Verarschung“. Die Ausländer bräuchten Rechte, Wahlrecht, Bleiberecht, kein folkloristisches Mitleid. Auch „Popo-Aktionen“ wolle sie nicht mehr, „ja schreibt ruhig, ‘Popo-Aktionen'“.

Erst Rostock, dann Mölln, dann Solingen. „Das darf einfach nicht nochmal passieren“, sagt der Abiturient Ali C. Man habe die Skins extra in die Türkei geflogen, damit sie Vorurteile abbauen, „hat doch alles nichts genützt“. Er kennt Skins persönlich, aus seiner Klasse. Ob es auch in Hamburg Krawalle geben könnte? Der türkische Präsident habe im Fernsehen gesagt, daß sie das nicht tun sollten. Ali C.: „Aber alle Ausländer sollten streiken. Damit die Deutschen sehen, daß ohne sie nichts läuft.“

„Allmählich reicht's“ sagt einer von drei türkischen Jungs, die auf der Straße an ihren Fahhrädern lehnen. Da zündet irgend so ein 16jähriger ein Haus an, und wenn der gefaßt wird, nützt es nichts, „die werden doch nie hart bestraft“. Im Schanzenviertel fühlen die drei sich relativ sicher, „hier trauen sich keine Skins her“. In den Außenbezirken wär es da schon anders. „Alle Polizisten beschützen Nazis“, ergänzt ein 12jähriger, „das hat mein Onkel mir erzählt“.

Entsetzen, daß sich Mölln wiederholen konnte, auch bei vielen Imbißbesitzern im Schanzenviertel. „Wir verstehen nicht, warum die Regierung die Nazis nicht in den Griff bekommt“, sagt der Inhaber vom Kebab-Shop Kabadocia. Natürlich werde er bei einer Boykott- Aktion mitmachen. Nach Solingen demonstrieren würde er nicht. Er habe sich in Mölln die Brandruine angeguckt, das hat gereicht. kaj

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