■ Bunsenbrenner: Vom Nettonutzen des Rauchens
Sultan Murad IV ließ den Rauchern den Kopf abschlagen. Im zaristischen Rußland hat man Tabakkonsumenten die Lippen aufgeschlitzt. Gesundheitsminister Seehofer will den Nikotinabhängigen lediglich den Krankenkassenbeitrag erhöhen – eine milde Strafe.
Die Abstrafung der Raucher kommt bei Seehofer aber als Mogelpackung daher. Sie wird nicht als erzieherisch notwendige Maßnahme, sondern rein volkswirtschaftlich begründet. Wer vorsätzlich krankmachende Drogen inhaliert, dürfe nicht erwarten, daß die Solidargemeinschaft hinterher die Arztkosten zahlt. Meist folgt an dieser Stelle noch der Hinweis auf die Fehlzeiten am Arbeitsplatz. Mithin: Geht den Stinkern endlich an den Geldbeutel! Die nichtrauchende Republik nickt beifällig.
Bei näherem Hinsehen zeigt sich allerdings, daß die Raucher den Staat nicht ausbeuten, sondern ihm vermutlich noch Geld einbringen. Da ist zunächst die Tabaksteuer: Jeder starke Raucher zahlt im Laufe seines Lebens runde 30.000 Mark davon. Als weitere Geldquelle steht die Ersparnis durch nicht in Anspruch genommene Renten auf der Haben-Seite. In Prospektiv-Studien ist die Lebenszeitverkürzung der Raucher inzwischen ausgezeichnet dokumentiert und – je nach Studie – auf 4 bis 15 Jahre taxiert worden. Nehmen wir einen mittleren Wert von 9 Jahren. Macht bei 2.000 Mark Rente einen Verlust von rund 200.000 Mark.
Ein dritter Posten hängt ebenfalls mit der Lebenszeitverkürzung zusammen: die eingesparten Kosten im Gesundheitssystem. In den letzten zehn Jahren unseres Lebens verursachen wir mehr Kosten durch ärztliche Behandlung und Pflege als in der gesamten Zeit davor. Bei Rauchern ist diese kostenintensive Zeit nicht nur zeitlich vorgezogen, sondern auch dramatisch verkürzt. Walter Krämer („Die Krankheit des Gesundheitswesens“) schreibt über die Folgen eines totalen Rauchverbots: Ein dadurch „dem Krebstod entrissener Raucher entlastet nicht notwendig unser Budget, denn dieser verhinderte Raucher wird statt dessen mit großer Wahrscheinlichkeit an einem dreimal so teuren Herzleiden sterben“.
Natürlich gibt es auch gegenläufige Trends: Rauchende Autofahrer verursachen mehr Verkehrsunfälle. Die Babies von Raucherinnen sind im Schnitt 200 Gramm leichter und krankheitsanfälliger. Raucher fehlen tatsächlich häufiger am Arbeitsplatz, und sie sind auch öfter krank. Verrechnet man diese Effekte miteinander, dürfte aber immer noch ein positiver monetärer Nettonutzen des Rauchens übrigbleiben. Raucher sind also keine Schweine, sondern Sparschweine. Oder: „Death is a great way to cut down expenses“ (Woody Allen). Und nichts ist so kostentreibend wie Gesundheit. Manfred Kriener
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