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RU 486: Legal, aber unerhältlich

In Großbritannien hoffen die meisten Interessentinnen vergeblich auf die Abtreibungspille / Hohe bürokratische Hürden lassen Abtreibungstermine verstreichen  ■ Aus London Antje Passenheim

Fünf Jahre nachdem der deutsche Pharmagigant Hoechst sie in Frankreich auf den Markt gebracht hat, gehört sie noch immer zu den umstrittensten Mitteln der Geburtenkontrolle. Und während es seit Jahrzehnten weltweit gelassen geduldet wird, daß Frauen sich mit ihrer ebenso umstrittenen, weil hormon- wie nebenwirkungsreichen Verwandten vollpumpen, schaffte sie es bislang erst, den Moralkodex dreier Regierungen in Europa zu knacken. Die Rede ist hier von der Abtreibungspille RU 486.

Nachdem die Französinnen 1988 die ersten Frauen der Welt waren, denen PolitikerInnen die Möglichkeit des medikamentösen Schwangerschaftsabbruchs gesetzlich zusicherten, dauerte es drei Jahre, bis die BritInnen nachzogen. Erst im vergangenen Herbst legalisierten auch die SchwedInnen das Medikament. Daß halbwegs liberale Gesetze jedoch nicht reichen, um betroffenen Frauen auch tatsächlich die angemessene Entscheidungsfreiheit zuzusichern, zeigt jetzt das Beispiel Britannien: Nach wie vor bleibt hier Tausenden von Frauen, die sich für das Präparat entscheiden, die medikamentöse Abtreibung verwehrt. Der simple Grund: bürokratische Hürden und Mangel an nötigen Einrichtungen.

Ans Licht brachte diesen Mißstand der Londoner Birth Control Trust, ein Forschungs- und Beratungsinstitut zum Schwangerschaftsabbruch. Eine Studie des Instituts, die zeigt, daß rund ein Drittel aller betroffenen Frauen sich für die Abtreibung mit RU 486 aussprechen, macht auch deutlich, wie weit die Wirklichkeit von diesen Vorstellungen entfernt ist.

„Während in Britannien jährlich zwischen 65.000 und 75.000 Frauen Schwangerschaften abbrechen, haben das seit 1991 lediglich 5.000 mit der Pille gemacht“, sagt Trust-Sprecherin Anne Furedi. Von einem Drittel könne da wohl nicht die Rede sein. Noch weniger, wenn man bedenkt, daß allein 2.000 bis 3.000 dieser Frauen die Pille im Rahmen von Versuchen einnahmen, bevor die Regierung das Präparat im Juli 1991 ganz freigab.

Seitdem, so sagt zumindest das britische Gesetz, stehe es jeder Frau zu, deren Abbruch legal abgesegnet ist. Dazu müssen ihr zwei ÄrztInnen attestieren, daß entweder Gefahr für Leben, körperliche Gesundheit oder psychische Stabilität der Mutter besteht, das Kind schwerbehindert zur Welt kommen oder – diese Formulierung fordert zum Grübeln auf – seine Geburt eine gesundheitliche Gefahr für bereits existierende Geschwister darstellen würde.

„Sind die meisten ÄrztInnen in diesem Land auch liberal und stehen auf der Seite der Frauen“, so Anne Furedi, „gibt es natürlich immer auch andere. Und verzögert sich die ohnehin bürokratische Organisation eines medikamentösen Abbruchs auch nur um Tage, kann es sein, daß der Patientin nur noch ein operativer Abbruch möglich ist.“ Anders als bei diesem Eingriff, der in Britannien bis zur 24. Woche möglich ist, darf die Abtreibungspille nämlich nur bis zur neunten Schwangerschaftswoche verabreicht werden.

Doch seltener, sagt Anne Furedi, hake es am Willen der ÄrztInnen. „Das Problem ist einfach: Während das britische Gesundheitswesen inzwischen gut für operative Abbrüche ausgestattet ist, fehlen für diese ambulante Behandlung schlichtweg die Einrichtungen – so simpel sie auch sind“, so die Spezialistin. Die Behandlung mit RU 486 erfordert zwar im Normalfall kein Krankenbett, jedoch einen Warteraum, in dem Patientinnen für einige Stunden Pflege und ärztliche Betreuung erhalten. Abgesehen von Untersuchungen und Beratungen müssen die Frauen nämlich erst die Klinik aufsuchen, nachdem sie die Abtreibungspille geschluckt haben, die genaugenommen aus drei Tabletten besteht.

Die Pillen hemmen das Schwangerschaftshormon Progesteron und verhindern so, daß die befruchtete Eizelle sich in der Gebärmutterschleimhaut einnistet. Ein 48 Stunden später ambulant verabreichtes Wehenmittel führt dann zur Fehlgeburt. „Viele ÄrztInnen, die dieser Methode positiv gegenüberstehen, müssen sie den Patientinnen verweigern, weil sie keinen Warteraum haben, gleichzeitig aber für die Behandlung kein Krankenbett opfern können“, so Anne Furedi, die sogar von Kliniken weiß, die den Abbruch mit der Pille ablehnen, weil sie nicht genügend Toiletten haben. Die Folge: 80 Prozent aller Pillenabbrüche werden bislang in teuren Privatkliniken vorgenommen, die den staatlichen Häusern diese Ausstattung vorweghaben. Für die Behandlung, die ansonsten kostenlos ist, zahlen die Frauen dann umgerechnet bis zu 650 Mark.

Trust-Sprecherin Furedi sieht diese Entwicklung mit Besorgnis: „Das führt dazu, daß finanziell schlechter gestellte Frauen zum operativen Eingriff gezwungen werden, wenn sie abtreiben müssen. Die Pille mag zwar umstritten sein, doch jede Frau sollte zumindest selbst entscheiden können, ob sie sie schluckt.“ Daß diese Entscheidung, kaum daß die Regierung sie ermöglicht hat, nun abhängig davon sein soll, ob eine Frau sie sich leisten kann, ist mehr als eine bittere Pille. Nicht nur der Birth Control Trust, auch Tausende von Frauen hoffen nun, daß die Ärzteschaft sie nicht so einfach schlucken wird.

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