piwik no script img

Kohl und Rau warnen vor türkischer Selbstjustiz

■ Schnoor sieht Rädelsführer am Werk / Kein Wort des Bedauerns über Mordopfer

„Bundeskanzler Kohl und Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Rau waren sich gestern darüber einig, daß bei allem Verständnis für die Empörung über die Morde von Solingen es nicht geduldet werden könne, jetzt innertürkische Auseinandersetzungen auf unseren Straßen auszutragen. Sie waren sich einig, daß jede Form von Gegengewalt und Selbstjustiz entschieden zu verurteilen sei“, sagte Regierungssprecher Dieter Vogel gestern auf der Bundespressekonferenz in Bonn zum Thema Solingen. „Ebensowenig darf geduldet werden, daß kleine Gruppen türkischer Extremisten die Gelegenheit nutzen, innenpolitische Gegensätze in ihrem eigenen Land in Gestalt von Straßenschlachten bei uns in Deutschland auszufechten“.

Worte des Bedauerns zu den Morden an den fünf Türkinnen äußerte Vogel nicht. Auch kamen seitens der Bundesregierung keine konkreten Vorschläge dazu, wie künftig die Sicherheit der in Deutschland lebenden Ausländer besser geschützt werden könne. Statt dessen der Hinweis: „Umfassender Schutz kann nur durch die Gesellschaft selbst, durch jeden einzelnen von uns möglich sein.“

Die Fragen, weshalb Kohl nicht nach Solingen gekommen sei und auch zur Beerdigung nicht kommen werde, beantwortete Vogel mit dem Hinweis, daß man sich einig gewesen wäre, daß die Delegierten ausreichten, um das Bedauern der Regierung an den Morden kund zu tun. Statt des Kanzlers werden Außenminister Kinkel und Innenminister Seiters die Bundesregierung an der morgigen Trauerfeier in Köln vertreten. Kinkel wird auch an der Beerdigung der Opfer am Freitag in der Türkei teilnehmen.

Nicht nur in Solingen, auch in anderen Orten kam es in der Nacht zum Dienstag zu Auseinandersetzungen von türkischen Immigranten mit der Polizei. In der Umgebung Solingens wurden mehrfach Autobahnen von Demonstranten blockiert. In Augsburg versammelten sich rund 500 Demonstranten in der Innenstadt. Mit etwa 100 Autos blockierten sie am Abend für anderthalb Stunden die Autobahn 8. Die Bremer Polizei teilte mit, bei Ausschreitungen in der Nacht seien Polizisten mit Baseballschlägern angegriffen worden. In der Bonner Innenstadt zertrümmerten 20 bis 40 Jugendliche Fensterscheiben und richteten erheblichen Sachschaden an.

Der nordrhein-westfälische Innenminister Schnoor sprach im WDR davon, daß die gewalttätigen Demonstrationen in Solingen „ganz gezielt“ inszeniert worden seien. Schnoor wörtlich: „Da sind Rädelsführer dabei, die darauf aus sind, das friedliche Zusammenleben der Deutschen und Türken zu stören. Ich hoffe, daß wir genügend Beweise haben, um den Tätern, die hier als Rädelsführer, als Aufheizer oder auch als Gewalttäter aufgetreten sind, ihre Straftaten nachzuweisen, und dann werde ich sie unerbittlich ausweisen“. Die Polizei habe 62 Personen festgenommen, 40 Festnahmen seien nach Straftaten erfolgt. Julia Albrecht, Bonn/

Walter Jakobs, Düsseldorf

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen