: Serbische Opposition protestiert
■ Schwere Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizisten in Belgrad / Oppositionsführer Draskovic verhaftet und schwer verletzt / Auseinandersetzungen um Schutzzonen im UN-Sicherheitsrat
Belgrad/New York/Genf (AFP/ APD/dpa) – Nach der Absetzung des jugoslawischen Staatspräsidenten Dobrica Ćosić ist es in der Nacht zum Mittwoch in der serbischen Hauptstadt Belgrad zu schweren Zusammenstößen zwischen oppositionellen Demonstranten und der Polizei gekommen. Dabei wurde nach Angaben des Belgrader Unfallkrankenhauses ein Polizist getötet. Mehr als dreißig Menschen wurden verletzt. Der Chef der größten serbischen Oppositionspartei „Serbische Erneuerungsbewegung“ (SPO), Vuk Drašković, rief seine Anhänger auf, sich mit allen Mitteln gegen die „Ultranationalisten“ zu wehren, die ein „Großserbien“ unter Einschluß der von den bosnischen Serben eroberten Gebiete Bosnien- Herzegowinas errichten wollten. Drašković wurde später verhaftet. Wegen seiner Inhaftierung wurde eine weitere Demonstration abgesagt, die für gestern vormittag vorgesehen war.
Die Demonstration gegen die Absetzung Ćosićs war in in offenen Aufruhr umgeschlagen, nachdem der nationalistische SRS-Abgeordnete Branislav Vakić, dessen Partei die Absetzung des Präsidenten unter anderem betrieben hatte, den SPO-Abgeordneten Mihailo Marković im Parlament niedergeschlagen hatte. Marković wurde mit einer Gehirnerschütterung in ein Krankenhaus eingeliefert. Die Polizei warf der SPO vor, ihre Anhänger hätten versucht, das Parlamentsgebäude zu stürmen. Tausende von Demonstranten lieferten sich heftige Straßenschlachten mit einem massiven Polizeiaufgebot. Nach Angaben des Innenministeriums wurden 121 Menschen festgenommen. Einige der Demonstranten trugen nach Angaben der Behörden Schußwaffen bei sich, von den 32 Verletzten wurden dem Unfallkrankenhaus zufolge acht angeschossen, fünf Demonstranten und drei Polizisten.
Am frühen Mittwoch hatten schwerbewaffnete Polizisten die Parteizentrale der SPO gestürmt und Drašković zusammen mit einigen weiteren Abgeordneten seiner Partei verhaftet. Drašcović wurde nach seiner Festnahme von Polizisten verprügelt, schwer verletzt und in ein Krankenhaus gebracht. Nach Angaben der Ärzte erlitt er unter anderem mehrere Schädelbrüche. Sein Zustand sei sehr schlecht gewesen, als die Polizei ihn nach der Behandlung wieder mitgenommen habe. Der Schriftsteller und SPO-Chef Drašković trat in den vergangenen Jahren stets an der Spitze oppositioneller Demonstrationen auf. Er gilt als glühender Nationalist, der lange Zeit zu Kampf und Gewalt aufrief. Erst seit der Schlacht um die kroatische Stadt Vukovar hat Drašković pazifistische Töne angeschlagen.
Der UN-Sicherheitsrat hat sich auch am Dienstag nicht auf die Sicherheitszonen in Bosnien-Herzegowina einigen können. Am Rande einer Beratung hinter verschlossenen Türen sagten mehrere Diplomaten voraus, für den Plan werde es in seiner gegenwärtigen Form nicht die erforderliche Mehrheit von neun der 15 Mitgliedsstaaten geben. Als mögliche Kompromißlösung wurde eine Eingangsformulierung diskutiert, nach der die Schutzzonen für die Moslems nur ein „erster Schritt“ auf dem Weg zu einem umfassenden Friedensplan sein sollten.
„Es gibt nur sechs sichere Stimmen dafür“, sagte der bosnische UNO-Botschafter Muhamed Sacirbey vor Journalisten über den ursprünglichen Resolutionsentwurf. Die Blockfreien im Rat – Djibouti, Pakistan, Marokko, Venezuela und Kap Verde – seien entschlossen, dem Druck der Franzosen und Engländer nicht nachzugeben. Sie sind wie die bosnische Regierung davon überzeugt, daß die sechs Sicherheitszonen lediglich zu einer Bestätigung der serbischen Politik der „ethnischen Säuberungen“ führen und die dort eingeschlossenen Moslems in eine Ghetto-Situation bringen.
Im New Yorker UNO-Hauptquartier wurde aufmerksam registriert, daß sich die USA kaum für das Konzept engagiert haben. Washington hatte es bei den Beratungen mit den europäischen Außenministern im Sicherheitsrat nicht geschafft, die von Präsident Bill Clinton favorisierten Konzepte einer Bewaffnung der bosnischen Moslems und einer Bombardierung serbischer Angriffsstellungen durchzusetzen.
Zwei dänische Fahrer und der bosnische Dolmetscher eines EG- Hilfskonvois wurden vorgestern nachmittag in Bosnien-Herzegowina getötet und vier weitere Personen verletzt. Die auf die Fahrzeuge abgefeuerten Panzergeschosse und Granaten stammten wahrscheinlich von serbischen Panzern, teilte das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) in Zagreb mit. Nachdem vorgestern nacht außerdem zwei französische UN-Soldaten in Sarajevo durch Heckenschützen verletzt wurden, wurden die Hilfsflüge in die belagerte Stadt zunächst für 24 Stunden ausgesetzt.
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