: Schweiz: Armeeabschaffung in Raten?
Am Wochenende stimmt die Schweiz über zwei Volksbegehren der Friedensbewegung ab: Baustopp für Truppenübungsplätze und Beschaffungsstopp für F/A-18-Kampfflugzeuge ■ Aus Zürich Roland Erne
Zum zweiten Mal innerhalb eines halben Jahres ist bei einer schweizerischen Volksabstimmung eine außerordentlich hohe Stimmbeteiligung abzusehen. In noch stärkerem Maße als bei der Abstimmung über den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) erhitzen die beiden militärpolitischen Vorlagen „Für eine Schweiz ohne neue Kampfflugzeuge“ und „40 Waffenplätze sind genug – Umweltschutz auch beim Militär“ die Gemüter. In den letzten Wochen gab es kaum ein Medium, das nicht regelmäßig über die beiden Vorlagen berichtete. Unzählige Podiumsdiskussionen und Straßenaktionen fanden dazu statt.
Fast überall traf man Menschen, die mit T-Shirts oder Buttons ihre Meinung zur Abstimmungsfrage kundtun. Und der Berner Bundesplatz wurde gleich zweimal zum Schauplatz von Höhepunkten im Abstimmungskampf: einmal mit einem „Stop F/A-18 und Stop Waffenplatz“-Festival für die beiden Initiativen und ein anderes Mal mit einer patriotischen Kundgebung der Schützenvereine dagegen. An beiden Veranstaltungen nahmen je etwa 40.000 Menschen teil.
Diese breite öffentliche Debatte wurde durch die „Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA)“ ermöglicht, die im vergangenen Jahr in einer absoluten Rekordzeit von einem Monat eine halbe Million Unterschriften für ein Kampfflieger-Beschaffungsmoratorium bis ins Jahr 2000 sammelte. Gegen neue Truppenübungsplätze reichte die Aktionsgruppe ARNA 118.000 Unterschriften ein, die damit insbesondere eine militärische Anlage in einem Naherholungsgebiet bei St. Gallen verhindern will. Obwohl das Parlament dem Kauf von 34 F/ A-18-Jägern und dem Bau des Truppenübungsplatzes bei St. Gallen bereits zugestimmt hatte, mußten Regierung und Parlament eine Volksabstimmung über die Initiativen ansetzen, da die beiden Volksbegehren das Quorum von 100.000 Unterschriften übertrafen.
Schon einmal machte die GSoA im November 1989 Furore. Mit ihrem damaligen Volksbegehren „Für eine Schweiz ohne Armee und eine umfassende Friedenspolitik“ erzielte sie mit 36 Prozent Zustimmung der Stimmberechtigten einen unerwarteten Achtungserfolg. Die „heilige Kuh“ Schweizer Armee wurde in dieser Abstimmung ihres Heiligenscheins beraubt. Doch saß der Schock für die Regierung und für die bürgerliche Parlamentsmehrheit offenbar nicht tief genug, um nicht weiterhin am Konzept einer hochgerüsteten Armee festzuhalten – auch wenn sich die weltpolitische Lage seit Beginn der Evaluierung eines neuen Jägers Mitte der 80er Jahre stark verändert hat.
Obwohl die schweizerische Luftwaffe schon heute den Vergleich mit denen anderer mitteleuropäischer Staaten nicht zu scheuen braucht, würde ein Volks- Nein zu den golfkriegserprobten F/A-18 nach Regierungsmeinung und den unzähligen Anzeigen der Initiativgegner ein „Loch in den Luftschirm“ reißen. Und auch mit der Annahme der Truppenübungsplatzinitiative würde nach ihrer Meinung eine „zeitgemäße Landesverteidigung in Frage gestellt“. Die beiden Initiativen seien so de facto eine Neuauflage der Armeeabschaffungsinitiative, sozusagen der Versuch, die Armee in Raten abzuschaffen.
Demgegenüber betont die GSoA, daß sie wohl an ihrem Ziel einer „Schweiz ohne Armee“ festhält, daß es aber mit den beiden Initiativen nicht um die Abschaffung der Armee, sondern um einen politischen Kompromiß mit dem armeekritischen Bevölkerungsteil geht. Es sei einfach nicht mehr zeitgemäß und sozialpolitisch unverantwortlich, etwa vier Milliarden Mark in einen Jäger zu investieren, wenn gleichzeitig wegen Geldmangels in der Bundeskasse zum Beispiel das Rentenalter der Frauen um zwei Jahre erhöht und Leistungen für die jetzt schon 150.000 Arbeitslosen gekürzt werden. Hier haken denn auch die grundsätzlich armeefreundlichen InitiativbefürworterInnen aus dem sozialliberalen Umfeld ein.
Wie vor einem halben Jahr ist die Schweiz auch jetzt politisch stark polarisiert, wenn auch der Graben anders verläuft, als bei der EWR-Abstimmung. Auch die Kampffliegerabstimmung hat eine europapolitische Bedeutung. Die Strategen des Militärdepartements denken schon seit geraumer Zeit über die schweizerische Neutralität nach. Wenn auch die primäre Argumentationskette für den F/A- 18-Kauf noch vom traditionellen Neutralitätsverständnis geprägt ist – „Wir brauchen den F/A-18, um unseren Luftraum selber verteidigen zu können!“ –, so wird neuerdings auch ganz anders für den Jäger geworben. Er soll nach Meinung der Militärs den „Eintrittspreis“ in ein neues europäisches Sicherheitssystem darstellen und dann sogar bei internationalen „Polizeiaktionen“ mit von der Partie sein.
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