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Die Jury konnte auch anders

Bei der 43. deutschen Filmpreisverleihung waren die besten Filme nur Silber wert  ■ Von Sabine Jaspers

Das „Filmband in Gold“ für den „besten deutschen Film“ blieb im Etui, ohne einen Besitzer gefunden zu haben. Ganz zu schweigen von dem Wanderpreis „Goldene Schale“, den seit 1979, als Schlöndorffs „Blechtrommel“ mit dieser höchsten aller „Bundesfilmpreis“- Trophäen geehrt wurde, niemand mehr gesehen hat.

Die Jury, die am Donnerstag im Berliner „Theater des Westens“ den „43. Deutschen Filmpreis“ verteilte, setzte ein Zeichen und entschied sich gegen Hauptgewinne. Statt Gold nur Silber. Die zweiten Preise gingen in einer Zeit, in denen vielen das Lachen vergangen ist, an die Komödien „Wir können auch anders“ von Detlev Buck und „Kleine Haie“ von Sönke Wortmann. Den dritten Zweiten bekam Gordian Maugg für sein Leinwand-Debüt „Der olympische Sommer“. Wenn überhaupt jemand außerhalb der Jury diesen Spielfilm – eine Liebesgeschichte montiert mit historischem Bild- und Tonmaterial aus den dreißiger Jahren – gesehen hat, ist es das Publikum der Festivals. Daran wird sich wahrscheinlich auch so bald nichts ändern: „Der olympische Sommer“ hat bis jetzt keinen Verleih.

Doch hat es ein Film erst einmal geschafft, auf die Liste der zehn nominierten Spiel- und Dokumentarfilme zu kommen, gehört er auf jeden Fall zu den Gewinnern, denn jedem einzelnen winken 400.000 Mark. Für einen Preis gibt's – abgesehen von dem schmucken Filmband oder der Obstschale – noch mehr Gelder aus der Staatskasse, die allesamt in neue Kinovorhaben investiert werden müssen. Ein „Filmband in Silber“ ist mit einer Prämie von 700.000 Mark verbunden. Wechselt gar die „Goldene Schale“ den Besitzer, steht eine Million zur Verfügung. Und was kostet ein Film? „Wir können auch anders“, schlug mit rund 2,8 Millionen zu Buche. „Schtonk“, der Gewinner des Vorjahres, verschlang 12 Millionen Mark.

Anders als bei der Berlinale mochte diesmal zur Stunde der Preisverleihung keiner eine Lufthansa-Maschine entführen, so daß Rudolf Seiters, Bundesminister des Innern (CDU), sich persönlich auf die Bühne zu bemühte. Letztes Jahr hatte sich der Minister, der nicht so oft ins Lichtspieltheater geht, bei dieser Tätigkeit noch von der Frage „Was haben Sie zuletzt im Kino gesehen?“ überraschen lassen. 1993 war der Silberfuchs auf die Frage des Fernsehmoderators i.R. Ilja Richter besser vorbereitet. Unumwunden sagte er der deutschen Filmwirtschaft ins Gesicht, daß er mit seiner zwölfjährigen Tochter in „Bodyguard“ gewesen sei. Dieses Stück US-Kinokonfektion haben hierzulande außer den Seiters auch Millionen andere gesehen. Der Marktanteil des deutschen Films liegt in seiner Heimat nur bei zehn Prozent. Das deutsche Kino ist mindestens so tot wie der deutsche Wald.

Wenn die Ansprüche nicht zu hoch gehängt sind, bestätigen Ausnahmen die Regel: Bucks und Wortmanns Filme verdienen nicht nur Ruhm und Ehre, weil sie Humor haben, sondern auch kommerziell gesehen Freude stiften: Seit September 92 kauften nach Angaben der Produktionsfirma 400.000 eine Eintrittskarte für „Kleine Haie“, die Geschichte dreier Jungschauspieler auf dem Weg zum Vorsprechen. „Wir können auch anders“ war wochenlang der einzige Film, der neben US- Produktionen seinen Platz unter den zehn bestbesuchten Filmen in Deutschland behaupten konnte, so Produzent Claus Boje. 360.000 begleiteten seit dem Start vor acht Wochen die filmischen Helden Kipp und Most, die zwar nicht lesen können, aber dafür ziemlich gut aussehen, auf ihrer Reise durch den Wilden Osten.

Doch trotz aller Qualitäten sind beide Werke – wenn auch nicht belanglos – politisch dennoch so harmlos geraten, daß ein Minister beruhigt Hände schütteln gehen konnte. Und deshalb ist es auch der Jury nicht vorzuwerfen, wenn sie Gold verweigerte. Dennoch gab's zu den beiden kaum Alternativen. Die immergleichen Filmschaffenden durften gleich eine ganze Reihe edelmetallener Sprungfedern mit nach Hause nehmen. „Wir können auch anders“ bekam drei gewundene Filmgebinde in Gold für Einzelleistungen. „Krücke“, dem Titel trotzend die sehenswerte Geschichte einer Freundschaft zwischen einem Invaliden (Heinz Hoenig) und einem Waisenjungen auf Zeit (Regie: Jörg Grünler), wurde ebenso mehrfach aufgerufen, wie Regisseur, Cutter und Produzent Adolf Winkelmann für seine Fußball-Milieustudie „Nordkurve“.

Und warum bewegt sich trotz junger Talente und Preisgeld nichts im deutschen Film? Zunächst einmal sind die Gremien an allem schuld. In den schwerfälligen Apparaten entscheiden zu viele Leute an zu vielen verschiedenen Orten und Instanzen, ohne miteinander koordiniert zu sein, über die Zukunft eines Filmprojekts. Wer die Finanzierung seines Films erleben will, muß sich deshalb eines langen Lebens sicher sein und häufig mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner zufrieden geben. Besonders in Berlin. Denn da gibt es nicht einmal einen zuständigen Filmbeauftragten.

Auch die Standortpolitik trägt zur Misere bei. Laut den Richtlinien der Förderprogramme der Länder muß ein großer Teil der öffentlichen Mittel in dem jeweiligen Bundesland ausgegeben werden. Auch ohne entsprechende Infrastruktur wird nur da gedreht, wo das Geld ist. So ist es kein Zufall, daß so viele deutsche road movies quer durch die Republik an den Geldquellen entlangführen. „Filme“, so schrieb die Zeit, die „andauernd unterwegs sind und nie ganz bei sich selbst.“

Doch geht es nach Dieter Kosslick, u.a. Geschäftsführer der „Filmstiftung Nordrhein-Westfalen“, die den größten Etat ausgeben darf, könnte „Wir können auch anders“ dennoch zwei Millionen Zuschauer ins Kino locken. Um gegen die Konkurrenz der US- Majors, die die „Kinos verstopfen“ anzutreten, sei jedoch eine „Umverteilung der Gelder“ erforderlich. Es dürfe nicht mehr länger nur in die Produktion gesteckt, sondern müsse endlich auch im größerem Stil in Kopien und Werbung investiert werden, um die längere Auswertung eines Films zu ermöglichen. Wenn sich in diesen Punkten nichts ändert, werden beim nächsten Filmpreis vielleicht auch die „Silbernen Filmbänder“ im Schrank bleiben müssen.

Dieses Gefühls kann sich jedenfalls keiner erwehren, der einen Blick in das Branchenblatt Blackbox geworfen hat. War noch vor einiger Zeit über mehrere Seiten hinweg nachzulesen, wer was mit wem in Planung hat, füllt die aktuelle Produktion gerade mal eine halbe Seite: In diesem Jahr wird (bislang) kaum etwas produziert, was morgen einen Filmpreis wert sein könnte.

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