■ Bonn-apart: Reif oder überreif?
Den 20. Juni 1991, 21.48 Uhr, als der Bundestag den Regierungsumzug nach Berlin beschloß, hat man mittlerweile hier am Rhein fast vergessen. Hat sich doch im Krebsgeschwür Regierungsviertel seitdem kaum etwas verändert, ja, selbst der erhoffte Mietensturz durch freiwerdende Beamtenwohnungen ist nicht eingetreten. Immer noch tummeln sich in Bonn die Diener des Staates, 20.000 an der Zahl, und kaum jemand glaubt, daß sich daran in absehbarer Zeit etwas ändert.
Und warum auch? Kehren doch immer wieder Spree-Reisende enttäuscht zurück an den Rhein: Berlin sei voller Baustellen, die Aufrüstung für Olympia im vollen Gange, und in Kreuzberg koste die Döner-Alternative zum Big Mäc längst nicht mehr 2 Mark.
Selbst die Autonomen der Bonner Altstadt reisen nicht mehr nach Berlin, wo schon Tage vor einer Demo alle Fensterscheiben mit Spanplatten verbarrikadiert sind, und auch die Nachtschwärmer sind enttäuscht: Dröhnt doch aus den früher so hochgelobten Szene- Treffs fast nur noch Techno- Pop.
Berlin ist out, und die Bonner sind wieder froh. Ausgelassen rheinisch eben. Kein Wunder, daß die Berliner dies nicht wahrhaben wollen. Hatte doch erst noch vor einer Woche der Bonn-Korrespondent dieser Zeitung – offensichtlich Berlin- Patriot – an selber Stelle versucht, alte, längst verheilte Wunden wieder aufzureißen. In Bonn gehe man „mit den Hühnern ins Bett“, und die hiesige Gastronomie biete weder „akzeptable Küche noch trinkbaren Wein“, tönte er.
Alles Lüge! Man fragt sich, ob der Gute nicht etwa viel zu lange am Schreibtisch sitzt und sich damit selbst um den Genuß eines vorzüglichen Rhein-Mosel-Schoppens bringt. Aber hat er denn nicht einmal in der Süd- oder Altstadt bis in den Morgengrauen Bier getrunken ...?
Wie auch immer, für den Bonner ist Hohn nichts Neues. Die Stadt sei nur „halb so groß wie der Friedhof von Chicago, aber doppelt so tot“, spöttelte in den 70er Jahren der damalige Korrespondent der US-Fernsehgesellschaft ABC, Don Farmer, woraufhin Bild am Sonntag empört aufschrie: „Für US- Journalisten ist Bonn eine Strafkolonie.“ Spätestens aber 1989 hatte sich Bonn wieder erholt: Da nämlich gab's „Bonn 2000“. Ganz ohne Olympia – 2.000 Jahre Bonn am Rhein.
Eine gereifte Stadt. Im Gegensatz zum pubertären Berlin mit gerade mal 756 Jährchen. Hasso Suliak
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