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Von Zampanos und vielen Remis

■ Die Bilanz des 1. FC St. Pauli in dieser Saison läßt nur die Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu

Eines kann der FC St. Pauli nach dieser verkorksten Saison auf jeden Fall für sich in Anspruch nehmen: Er hat Geschichte geschrieben. In einem nicht gerade rühmlichen Kapitel der deutschen Fußball-Historie spielte der Kiez-Club eine von 24 tragenden Rollen. Nie zuvor gab es jemals eine so große Spielklasse wie diese 2. Fußball-Bundesliga der Saison 1992/1993. 24 Mannschaften wurden 23 Heim- und ebensoviele Auswärtsspiele zugemutet, um die 10 Teams festzulegen, die sich nun zu verabschieden haben. Drei – der SC Freiburg, der MSV Duisburg und der VfB Leipzig – nehmen freudestrahlend Abschied aus der „Wahnsinns-Liga“ und dürfen sich jetzt zumindest ein Jahr lang zu den wirklich Großen des deutschen Fußballs zählen.

Beim FC St. Pauli hielten sich manche in dieser Saison sogar für die Größten. Ein Trainer namens Michael Lorkowski, der gerade Hannover 96 zum Pokalsieg geführt hatte, wollte am Millerntor im Stile des „Großen Zampanos“ einen Bundesliga-Aufstieg in seine persönliche Erfolgschronik eintragen lassen. Was sich zunächst mit 6:2 Punkten vielversprechend anließ, endete im Desaster. Das 0:3 beim Aufsteiger Wuppertaler SV, heute kurioserweise Lorkowskis Arbeitgeber, war wohl der „Knackpunkt“. In rasender Talfahrt entwickelte sich der FC St. Pauli vom Aufstiegs-Anwärter zum Mittelmaßteam und schließlich zum Abstiegskandidaten.

Und was den Profis vom ungeliebten HSV recht war, war den St. Paulianern nur billig. Im Waldcafé Corell am Niendorfer Gehege verschwor sich die Truppe gegen ihren Trainer, der ihnen die umstrittenen Auflaufprämien streichen wollte. Lorkowski ging, und Seppo Eichkorn kam. Oder besser gesagt: Er war schon da. Der Fußballehrer, der unter Helmut Schulte, Horst Wohlers und eben Michael Lorkowski brav die Co-Trainer-Rolle gespielt hatte, sollte es nun richten. Doch der Schulte-Effekt – vom Handlanger zum Trainerstar – setzte nicht ein. Seppo Eichkorn wird von den Fans bisweilen kritisiert, meistens jedoch akzeptiert, niemals aber vergöttert wie der „große Helmut“, dem sie am Millerntor auch heute noch, zweieinhalb Jahre nach seiner Entlassung nachtrauern.

Was die mit durchweg Bundesliga-erfahrenen Spielern durchsetzte Mannschaft bot, war zum Teil erschütternd. Gleich neunzehnmal, davon neunmal in Heimspielen, schoß der FC St. Pauli nicht ein einziges Tor. Und war die Heimbilanz mit elf Siegen, sieben Unentschieden und fünf Niederlagen schon nicht berauschend, so war auswärts mit der Millerntor-Truppe überhaupt kein Staat zu machen. Es gelang mit dem 2:0 in Braunschweig genau ein einziger Sieg in der Fremde. Ansonsten wurde zwölfmal ein Remi (Liga-Rekord) zusammengewürgt und zehnmal setzte es Niederlagen, davon mit 0:4 in Stuttgart und 0:3 in Wuppertal, die deftigsten ausgerechnet bei den direkten Konkurrenten im Abstiegskampf. Ein paar mal – das sei hier keineswegs verschwiegen – zeigte das Team auch, wozu es wirklich im Stande gewesen wäre. Da wurde bei den Heimsiegen gegen Remscheid (4:1), Meppen (3:0) und auch Wuppertal (2:0) doch tatsächlich ansehnlicher Fußball gespielt. Erfolgreichster Torschütze war Publikumsliebling Leonardo Manzi mit neun Treffern. Mit keiner roten und nur drei gelb-roten Karten für Knäbel, Hollerbach und Fröhling gehörten die Hamburger zu den fairsten Teams der Liga. Und in der Zuschauer-Bilanz steht St. Pauli sowieso ganz an der Spitze: Mehr als 14 000 Fans strömten im Schnitt ins Wilhelm- Koch-Stadion. Um so erschütternder, daß dennoch nicht eine Mark an Schulden abgebaut werden konnte.

Und noch etwas gab es nur bei St. Pauli: „Ottis Übersteiger“. Einfach einmalig, wie Stürmer Klaus Ottens, diesen E-Jugend-Trick zelebrierte, vorzugsweise ohne einen Gegenspieler weit und breit. zab

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