: Festival ohne Umweltschäden
Jugendliche organisieren über 30 Radtouren zum Umwelttreffen in Magdeburg / Ziel ist die Förderung langfristigen Engagements ■ Aus Lüneburg Nicola Liebert
„Musik, Mut und gute Laune“ verheißt ein Flugblatt, das an der Wand eines kleinen Lüneburger Büros neben vollgepackten wackeligen Regalen und einem modernen Kopierer hängt. Eine ehemalige Kalkbrennerei dient als zentrales Koordinationsbüro für das Umweltfestival „Auftakt“. 14 Jugendliche arbeiten hier seit einem halben Jahr und zum Teil schon länger daran, das erste umweltfreundliche Großfestival zu organisieren, das vom 28. Juli bis zum 1. August steigen soll.
Die Laune in dem winzigen Büro ist, wie es das Flugblatt verheißt, gut. Auch an Mut fehlt es den AktivistInnen offenbar nicht. Es gehört schließlich einiges dazu, über dreißig Fahrradtouren zu organisieren, die aus allen Teilen Deutschlands und dem benachbarten Ausland nach Magdeburg fahren sollen. Dort werden zu dem fünftägigen Festival 25.000 TeilnehmerInnen erwartet, die ernährt und untergebracht werden müssen – und das möglichst umweltfreundlich. Auf zahlreichen Feldern in der Umgebung Magdeburgs wächst derzeit das, was die TeilnehmerInnen essen werden, organisch, versteht sich. Und serviert wird abfallarm: auf Mehrweggeschirr. Die OrganisatorInnen wollen beweisen, daß auch Riesenveranstaltungen umweltverträglich durchgeführt werden können.
In ganz Deutschland beteiligen sich mittlerweile gut 300 Jugendliche für Spitzengehälter von bis zu 300 Mark im Monat an der Vorbereitung. Ein dreißigjähriger Organisator bezeichnet sich dabei selbst als „absoluten Opa der Aktiven“.
Die Idee war 1991 entstanden, als 7.000 Personen von Rostock nach Bremen radelten. Dergleichen solle wiederholt werden, war man sich einig. Doch noch mehr Menschen auf einmal wären nicht mehr zu ernähren und unterzubringen gewesen. Die Idee der Sternradtour war geboren. Ziel sollte in jedem Fall eine ostdeutsche Stadt sein. Und tatsächlich bringt Auftakt wie wenige Initiativen zuvor west- und ostdeutsche Jugendliche zusammen.
Aber es gibt auch Kritik: Ob denn gerade ein Großfestival wirklich dem Schutz der Umwelt diene, zumal, wenn es auf der noch einigermaßen ökologisch intakten Magdeburger Elbinsel stattfindet. Die InitiatorInnen, die größtenteils aus der Umwelt- und der Jugendarbeit kommen, halten ihr Anliegen jedoch für so wichtig, daß die Einwände beiseite gelassen werden. Sie wollen mehr, als nur Radausflüge und ein großes Fest auf die Beine zu stellen.
Armin Torbecke, der von Anfang an im Lüneburger Büro mitarbeitet, schimpft auf die Umweltbewegung: Die Verbände seien zu Bürokratien erstarrt, unfähig zur Zusammenarbeit. Immer mehr Menschen würden resignieren. Dagegen – Armin gestikuliert begeistert – setze Auftakt ein Zeichen. „Es geht nicht länger, sich um das Wohlergehen von Bäumen und Fröschen zu kümmern, ohne das soziale Umfeld der Menschen zu beachten.“ Neben den Umweltthemen ist ein weiterer Schwerpunkt von Auftakt deshalb die wohl zur Zeit drängendste soziale Frage – der Rassismus. An den Radtouren werden auch einige Flüchtlinge aus Sammellagern teilnehmen: Integration statt Isolation. Die OrganisatorInnen wollen die bisherigen Schranken zwischen Antirassismus- und UmweltaktivistInnen durchbrechen. Erste Reaktionen folgten bereits: In Lüneburg gingen zahlreiche Drohanrufe von Neonazis ein.
„Auf dem Festival selbst geht es nicht darum, eine Art besseres Volkshochschulprogramm mit Musik anzubieten“, erläutert Ekkehard Darge, zuständig für das Festivalprogramm. Die TeilnehmerInnen sollen vielmehr mit neuen Ideen, Adressen und konkreten Handlungsanleitungen nach Hause gehen. In diesem Sinne soll das Festival tatsächlich ein „Auftakt“ sein.
Natürlich gibt es auch Konzerte, zum Beispiel mit Gerhard Schöne oder Poems for Laila, und Theater wie „Wer tötete Chico Mendes?“. Aber wichtiger sind die Arbeitsgruppen. Schwerpunkt ist dabei neben der Antirassismusarbeit die Kampagne für autofreie Städte. Die Besucherin kann sich aber auch mit der Energiewende beschäftigen oder ganz praktisch mit dem Bau einer Solar-Kochkiste, mit Öko-Landbau oder mit der Frage, wie man eine Food-Coop gründet. In den Arbeitskreisen soll nicht nur informiert und Betroffenheit erzeugt werden. Die TeilnehmerInnen werden in sogenannten Umsetzungs-Arbeitskreisen vor allem überlegen, was jedeR einzelne tun kann: auf privater oder politischer Ebene, mit bestehenden Initiativen oder indem man eine eigene Gruppe gründet. Auf Regionaltreffen kann jede und jeder dann MitstreiterInnen aus der eigenen Umgebung kennenlernen. Auftakt soll keine Seifenblase sein, die platzt, sobald die letzten FestivalbesucherInnen nach Hause gegangen sind. Dafür steht Nachtakt: regionale Nachfolgetreffen acht Wochen später. Dann sollen TeilnehmerInnen und OrganisatorInnen wieder zusammenkommen, um zu besprechen, welche von den neuen Ideen schon umgesetzt wurden. Daß es weitergehen wird, daß die geknüpften Kontakte halten werden, da sind sich die InitiatorInnen jedenfalls sicher. Denn die Organisationsstruktur ist nicht von oben aufgesetzt – die Radtouren werden etwa von den verschiedensten Gruppen vor Ort organisiert. Erste Nachfolgeprojekte sind schon geplant wie eine Serie von Straßenfesten und Konzerten in mehreren brandenburgischen Städten. Das Projekt wird von den Landesregierungen meist unterstützt, vor allem von seiten der Umweltministerien. Wichtige Hilfe leistet auch der Schirmherr, der Zukunftsforscher Robert Jungk, der das Festival vorgestern auf einer Pressekonferenz in Leipzig vorstellte. Er findet gar, Auftakt sei „ein Ereignis von zeitgeschichtlicher Bedeutung“.
Foto: Arn von der Osten-Sacken/ Joker
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