Strohhalme der Politik

■ Bubis: Doppelte Staatsbürgerschaft kein „Heilmittel“ gegen Rassismus

Berlin (taz) – Der Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, hat gestern davor gewarnt, in der doppelten Staatsbürgerschaft ein „Heilmittel“ gegen Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit zu sehen. Auf einer Tagung der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung zu „Fremdenfeindlichkeit und Rassismus“ im Berliner Reichstagsgebäude erklärte Bubis, wenn nun der Eindruck erweckt werde, daß sich damit der Rechtsextremismus bekämpfen lasse, dann sei dies eine „Illusion“. Seit seinem ersten Tag als Vorsitzender des Zentralrates habe er die Politiker davor gewarnt, eine Verknüpfung zwischen fremdenfeindlichen Straftaten und der Asyldiskussion herzustellen. Es sei daher „kein Zufall, daß 48 Stunden nach der Annahme des Asylkompromisses“ nicht nur in Solingen, sondern gleichzeitig auch in Magdeburg, München und anderen Städten Anschläge unternommen wurden. In den 70er und 80er Jahren, so Bubis, sei der Terrorismus der RAF als direkter Angriff auf den Staat wahrgenommen worden. Heute sehe er allerdings nicht, daß der Staat die Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit „als Angriff auf die Demokratie begreife“. In der Politik klammere man sich statt dessen an die Vorstellung, Straftaten würden von Einzeltätern begangen: „Das waren Strohhalme, nach denen die Politik gegriffen hat, ohne zu sehen, was sich wirklich abgespielt hat.“ So gebe es bereits seit den 50er Jahren bei rund einem Drittel der Bevölkerung einen latenten Antisemitismus. Geändert habe sich nur das Tabu, diesen nicht offen benennen zu dürfen.

Der SPD-Vize Wolfgang Thierse hatte auf der Tagung zuvor gefordert, den Lichterketten müsse nun „Zivilcourage im Alltag“ folgen. Thierse, der den Asylkompromiß ausdrücklich verteidigte, verlangte zugleich die doppelte Staatsbürgerschaft und das kommunale Wahlrecht für in Deutschland lebende Ausländer. Zur Bekämpfung des Rechtsextremismus verlangte Thierse eine konsequentere Strafverfolgung; mit regelmäßigen Razzien sollte etwa die rechtsradikale Szene erschüttert werden. Thierse warnte weiter vor „unbedachten ausländerfeindlichen Gesprächen in den guten Stuben“. In manchen Familien fehle eine ausdrückliche Distanzierung von Ausländerfeindlichkeit. Dies trage zur „konformistischen Rebellion der Jugendlichen“ bei, diese fühlten sich mitunter als „zornige Vollstrecker des Volkswillens“. Wolfgang Gast