: Gut getrötet, selten getrödelt
■ Rhythmisches und harmonisches Ereignis: Konzert der "Station 17" in der Fabrik gefeiert
in der Fabrik gefeiert
Im Bühnenhintergrund die Bilder der Maler-Gruppe „Die Schlumper“, im Vordergrund überlassen einzelne SängerInnen der Gruppe nach wenigen Stücken das Mikrofon anderen, tanzen vor der Bühne und feuern von dort aus Band und Publikum an: Station 17, das Ensemble aus der evangelischen Stiftung Alsterdorf, spielte am Donnerstag in der gutgefüllten Fabrik.
Gekennzeichnet war der Auftritt durch die selbstbewußte Methode, über ein Grundriff vom Bass Improvisations-Schichten zu legen, was schon das aktuelle Album Genau so andeutet. Die Musiker um den Pfleger Kay Boysen stimmten die Länge der Stücke auf das Engagement der Sänger und Sängerinnen ab. Zu Gehör kam eine Musik aus rhythmischen und harmonischen Ereignissen, aus spaßigen Ausbrüchen und „weicher“ Unordnung.
Station 17 rockte, spielte Weltmusik, coverte Depeche Mode und feierte auf offener Bühne. Wie die amerikanischen Psychedeliker Gratefull Dead unternahm die Gruppe aber auch Gratwanderungen, bei der mal Momente eingefangen wurden und mal eine musikalische Figur in Richtung eines ausgedehnten Endes hin swingte oder, seltener, vor sich hin trödelte.
Die einzelnen Beiträge der MusikerInnen deckten dabei das Feld zwischen dem Druck auf die Keyboardtaste einmal pro Minute und dem spontan und enthusiastisch erweiterten Text ab. So ergab sich
1die kreative Freiheit für einen der Sänger, der nach Verklingen eines Stücks noch längst nicht zu seiner letzten Strophe vorgedrungen war. Mit Körpereinsatz und gutturalem Über-Engagement legte der junge Mann ein Freestyle-Rap-Röhren hin, das die Aufmerksamkeit aller auf sich zog. Ein anderer überzeugte mit einer Tröte, die er blies, als hätte John Lurie für ihn
1die Musik geschrieben. Andreas Lehrke fragte freundlich und wiederholt in gutem Timing „Seid ihr alle da? Ich bin auch da!“.
Die Selbstverständlichkeit, mit der ein Grundschwingen einsetzte, war überwältigend. Sie ließ in der Fabrik an die erste kreative Phase deutscher Rock-Musik wie Amon Düül denken. Für den Konzertbesucher ein bekömmliches Erlebnis:
1Plötzlich ist sonnenklar, wie es — Musik, Leben, Abbau von Ressentiments — geht. Hinterher wundert man sich nicht zum ersten Mal, wie naheliegend das schon immer gewesen ist. Auf dem Nachhauseweg schließlich nehmen wir unsere Euphorie zur Kenntnis: Beim Gehen berechnen wir eine Schrittlänge pro Bürgersteig bis zur nächsten Straßenecke. Kristof Schreuf
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