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Mehr als heimliche Leidenschaft

■ Das Linke und Fußball nicht zusammengehören, ist in einem Kreuzberger Kollektiv nicht erst seit dem heutigen Pokalfinale zwischen Hertha und den Leverkusener Chemikern widerlegt

„Wer den Verstand einer Billardkugel hat, soll auch so aussehen“ – das Anti-Skin-Graffiti an der Warschauer Brücke könnte auch für Fußballfans und ihre Lederkugel gelten. So die landläufige Meinung, jüngst wieder beobachtet in Leipzig: Als die intellektuellen Bücherwürmer die Buchmesse verließen, feierten die Fans des VfB Leipzig wenige Meter entfernt den Aufstieg in die Bundesliga. Nase rümpfend, diskret lächelnd oder (die liberale Variante) nach dem Spielergebnis fragend, kämpften sich die Herren durch den Pöbel, derweil die Damen ihre Handtaschen verlegen an sich preßten. Der Fußballfan, das dumpfe, stumpfe Wesen?

Weit gefehlt. „Die Hinwendung zu proletarischen Ausdrucksformen“, findet die politisch aktive Lesbe C.D. Lang, „ist ein notwendiger Bestandtteil linker Politik, vorausgesetzt, sie vergräbt sich nicht im Elfenbeinturm.“ Ein Dilemma sei es freilich, daß jene Ausdrucksformen inhaltsleer geworden seien: „War früher Fußball im Ruhrgebiet noch Klassenkampf, läßt sich heute mit Schalke oder Dortmund mühelos Staat machen.“ Spätestens als Günter Netzer dann Manager des HSV wurde, hat sie alle Hoffnungen an den Nagel gehängt. Fußball wurde erst wieder interessant, als mit St.Pauli oder jetzt dem SC Freiburg „linke Hoffnungsträger“ ins Oberhaus der Liga zogen. – C.D. Lang arbeitet in einem kleinen, aber feinen Kollektiv am Kreuzberger Mehringdamm. Smalltalk über die 22 Jungs samt Leder gehört dort zur Farbe, den der Alltag am Packtisch leider selten bietet. „Vor St.Pauli war man noch gezwungen, seine Leidenschaft vor den Genossen zu verstecken“, sagt auch Helmut A. Heute gehören die Tabellen und Spielergebnisse der Bundesliga ebenso zum Repertoire des Alt- 68ers und Anarchisten wie die Monatsbilanzen oder Gehaltslisten der eigenen Firma. – Daß die rote Karte allzuoft über der Reputation als ordentlicher Linker schwebte, kann auch Michael R. bestätigen: „Während der Fachschafts- Sitzungen am Mittwoch abend leerten sich gegen 20Uhr zwar regelmäßig die Reihen“, erinnert er sich. „Man hat zwar geahnt, daß die alle zum UEFA-Cup-Spiel nach Hause gehen, aber angesprochen hat man sich trotzdem nicht“. Das hat sich heute geändert. Für viele AntifaschistInnen gehört der (Meinungs-) Kampf in den Stadien mittlerweile zum Politalltag. So hat sich etwa eine „Antifaschistische Fußball- Fan-Initiative“ zum Ziel gesetzt, ähnlich wie in England die Stadien von den Rechten zurückzuerobern. Die Devise: „Support your local team“ ist freilich eine Aufgabe, die in Berlin eine gehörige Portion Masochismus erfordert. Demgegenüber spielt der Klassenkampf auf dem Rasen kaum mehr eine Rolle. „Die früheren Debatten, ob es ohne die Ruhrpottvereine mehr Streiks gäbe oder Selbstmorde“, resümiert Andreas B., hätten sich erledigt. „Lange genug“, spricht er aus Erfahrung, „jagten die Linken irgendwelchen Theoriephantomen hinterher und haben sich um ihre Widersprüche herumgedrückt“. Davon freigemacht genießt er es heute, seiner Leidenschaft zu frönen: ohne ideologischen Überbau. Gelassener sieht es auch Barbara T. Sie, die sich von ihrem Freund vor Urzeiten trennte, weil er Schalke04 im Schlachtgesang als „die Scheiße vom Revier“ beschmutzte, hat sich heute auch von ihrem Verein getrennt. Gegen Fußballfans hat sie nach wie vor keine Abneigung. „Nur sollte man das alles nicht mehr so politisch verbrämen.“

Beim Kreuzberger Kollektiv sinkt die Stimmung nur dann, wenn Fußballmuffel und Möchtegernchef Arno H. in die Nähe des Packtisches gerät – was nicht oft passiert. „Und wenn“, grient C.D. Lang, „erzählen wir ihm einfach, daß selbst ein Intellektueller wie Walter Jens im Stern seiner Leidenschaft gefrönt hat“. Uwe Rada

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