Sanssouci: Vorschlag
■ The Fellow Travellers im Huxley's Jr.
Eigentlich hat Musikmachen schon immer bedeutet, unterwegs zu sein. Heimatlosigkeit als Weg, so wie beim Matrosen mit Akkordeon auf offener See, wie beim herumstromernden Bluessänger und dem vagabundierenden Hobo Woody Guthrie oder dem Rolling Stone, von dem die Temptations gesungen haben: „Wherever he laid his head was his home“. 30 Jahre später sind diese ehernen Werte der Liedproduktion ziemlich auf den Hund gekommen. Die Songs werden heute nach dem morgendlichen Jogging beim Frühstück am PC geschrieben.
Das weiß auch jenes tiefsinnige Trio The Fellow Travellers, deren Gruppenname an das Reich der früher unbegrenzt sich fortschreibenden Möglichkeiten erinnert. Fellow steht im Amerikanischen für den Mitreisenden, den der nachgestellte Traveller verdoppelt. Ein recht tautologisches Beatnik-Modell, in dem sich der eine durch den anderen als gleicher erkennt.
So etwas ist normalerweise viel zu ausgedacht kunstmäßig, zu selbstbezüglich, um von der musikalischen Fachpresse akzeptiert zu werden. Doch im Falle der Fellow Travellers wurde ein Auge zugedrückt. Spex, der bayerische Zündfunk und zahlreiche Stadtzeitungsmenschen haben die Band spätestens seit ihrer 1992er LP mit dem Titel „Just a visitor“ (!) ins Herz geschlossen.
Musikstilistisch funktioniert das Denken nicht weniger exorbitant: Die Travellers verknüpfen Country, Folk und Western mit Dub-Reggae. Mundharmonika, Geige und Akustikgitarre treffen auf Echoschleifen. Das gilt zwar alles als Volksmusik, verträgt sich aber ungefähr so gut wie Kiwis und Bananen zusammen in einer Obstschale – möchte man meinen: Es reift nicht nur schneller, es gammelt auch früher. Aber weit gefehlt: Am Ende hört sich Jeb Nichols wie die Weiterführung jener vergilbt-nasalen Spötterei eines Bob Dylan an – nicht im Schizostadium zwischen eisernem Antiamerikanismus und „Christian Science“, sondern global, postmodern und multikulturell. Talking Heads als Linolschnitt, so sah zumindest das LP-Cover zu „No Easy Way“ (1990) aus.
Dazu paßt die Vorgeschichte der Band: Nichols, der aus Missouri kommend in Texas vor sich hin lebt, als Großstadt-Cowboy nach New York übersiedelt, um dort auf starke Frauen wie The Slits trifft, die ihn die Differenz lehren. In London wohnt er mit Neneh Cherry zusammen und trifft Martin Harrison, ein ehemaliges Mitglied der Industrial-Dubber London Underground. Sie gründen eine Band, die sich so lange nicht zwischen Dancefloor und Wohngemeinschaft entscheiden kann, bis Lorraine Morley hinzustößt. Sie fungiert von nun an als singender Gegenpol zum nölenden Nichols und ist als einzige tatsächlich im Folk verwurzelt.
Genau genommen gibt es von solchen Bands am Rande des Pop eine ganze Reihe: Prefab Sprout, Yo La Tengo, Young Marble Giants oder The Go-Betweens (noch so ein schöner symbolischer Name). Bei den Fellow Travellers vollendet sich die Verbindung von imaginär mitgeführten Roots und bewußt fixierter Folk-Kultur zugleich als Bruch und Fuge von populärer und Popmusik, made im euro-amerikanischen Kontext. Harald Fricke
The Fellow Travellers spielen um 21 Uhr im Huxley's Jr., Hasenheide 108–112.
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