: Antworten auf die Fragen der Seele suchend
■ Gesichter der Großstadt: Der schwule Dramatiker Nikolai Koljada lebt seit anderthalb Jahren in Berlin
Eigentlich mag er Großstädte nicht besonders, erzählt Nikolai Koljada, der derzeit in Rußland meistgespielte Dramatiker. „Ich suche Ruhe und Frieden. Das kann ich hier natürlich nicht finden.“ In Berlin ist er trotzdem gerne, wegen der vielen kleinen Off-Bühnen. Besonders das Hebbel-Theater mit seinen russischen Produktionen findet er gut. Hauptsächlich ist er allerdings wegen seiner „Muse“ Alexander in Berlin.
Vor anderthalb Jahren kam der russische Dichter aus Jekaterinenburg am Rande des Ural-Gebirges wegen eines Stipendiums nach Deutschland. Bei einem Theaterfest in Potsdam lernte Koljada schließlich den Berliner Theaterstudenten Alexander Kahl kennen, der einige seiner 34 Stücke ins Deutsche übersetzte. Aus der Freundschaft entstand eine enge Zusammenarbeit, und so wurde die Idee einer Theateragentur, die einen deutsch-russischen Kulturaustausch für junge unbekannte Künstler aufbauen soll, geboren. Zusammen gründeten die zwei im vergangenen Mai das „Inter-Theater“, das später in einen Verein übergehen soll.
In Jekatarinenburg – vormals Swerdlowsk – begann 1973 die Karriere des vollbärtigen Russen. Hier erfüllte er sich seinen Kindheitstraum an der Swerdlowsker Theaterschule, an der er eine vierjährige Ausbildung absolvierte und danach sieben Jahre lang als Schauspieler am dortigen Akademischen Dramentheater engagiert war. Nervös nestelt der 35jährige an seinen Fingern, als er erzählt, warum er schließlich dort rausgeschmissen wurde: „Offiziell mußte ich wegen angeblicher Trunksucht gehen. Der wahre Grund war, daß durchgesickert war, daß ich schwul bin.“ Homosexualität war bis vor kurzem in Rußland verboten und wurde mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet. Auch in der öffentlichen Meinung gelte die Liebe zum gleichen Geschlecht immer noch als etwas Dreckiges, Widerwärtiges und Verabscheuungswürdiges, erklärt Koljada in gebrochenem Deutsch. Hier im Westen habe er festgestellt, daß man seine Homosexualität zugeben kann, weil „jeder machen und sein kann, was er will“.
Nach seinem Rausschmiß arbeitete Koljada als Dramatiker, seit sieben Jahren als freier Schriftsteller. Um sich vor Angriffen gegen sein Schwulsein zu schützen, gab er vor, sich lediglich gut in die Situation von Homosexuellen versetzen zu können und selbst „normal“ zu sein. Trotzdem schrieb er weiter Stücke mit „schwuler Farbe“. „Schließlich hat das was mit mir zu tun. Deswegen muß ich darüber schreiben.“ Allerdings versteht er sich nicht als „Schwulen-Schriftsteller“. Dafür sei das Leben zu vielfarbig. Er will nicht ein Held der Schwulenszene sein. „Ich suche Antworten auf die Fragen in meiner Seele. Ich versuche ehrlich zu sein und habe den Kampf gegen Vorurteile aufgenommen.“
Der Erfolg gibt ihm recht. Seine Stücke sind weltweit in zehn Sprachen übersetzt worden. Fünf deutsche Versionen sind im Berliner Henschel Verlag erschienen, in Essen, Kiel und Stuttgart werden derzeit Stücke von „Kolja“, wie er von Freunden genannt wird, aufgeführt. Die Verfilmung des Stückes „Die Schleuder“ wird zur Zeit durch den namhaften russischen Regisseur Waleri Ogorodnikow im Rahmen einer internationalen Koproduktion vorbereitet.
Bald wird Koljada wieder nach Jekatarinenburg zurückgehen. „Ich muß meine Sprache auf der Straße hören und sehen, wie sich alles verändert.“ Alexander Kahl wird mit ihm für ein halbes Jahr dorthin gehen, um herauszufinden, ob die russische Theaterlandschaft deutschen jungen Künstlern Möglichkeiten bietet, ihre Stücke zu zeigen und so einen Austausch auf die Beine zu stellen. Jörg Welke
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