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Der aristokratische Hooligan und sein Castle Von Ralf Sotscheck

Täglich wünschen die Mitglieder des britischen Oberhauses dem Herzog von Marlborough aus tiefstem Herzen beste Gesundheit und ein langes Leben. Beißt der Alte nämlich ins Gras, erbt sein 37jähriger Sohn Charles James Spencer-Churchill – alias Lord Blandford – nicht nur das Familienschloß samt Ländereien im Wert von mindestens hundert Millionen Pfund, sondern darüber hinaus den Herzogtitel, der ihm einen Sitz im House of Lords garantiert. Dieser Gedanke läßt den Lords und Ladies das blaue Blut in den Adern gefrieren, denn „Jamie“ – wie Freunde und Drogenhändler ihn nennen – ist ein aristokratischer Hooligan. Seit Dienstag wohnt er wieder im Pentonville-Gefängnis, weil er seiner Ex- Frau Becky umgerechnet 25.000 Mark Alimente für den gemeinsamen Sohn, den knapp einjährigen Grafen George, schuldet. Die Polizei wollte Jamie bereits fünf Tage zuvor verhaften, doch er hielt sie zum Narren. Nachdem die Beamten stundenlang vor dem Haus gelauert hatten, tauchte seine Lordschaft auf dem Fahrrad auf, verschwand in seiner Wohnung im zweiten Stock und ignorierte die Polizisten, die an seiner Wohnungstür klingelten. Damit hatten die Ordnungshüter offenbar nicht gerechnet. Sie forderten vom Kensington-Revier Verstärkung an, die eine halbe Stunde später mit Vorschlaghammer, Drahtschere und einem Schäferhund namens Gendarme eintraf. Es dauerte jedoch eine weitere halbe Stunde, bis die uniformierten Trottel die Tür aufgebrochen hatten. Lord Jamie war freilich längst über alle Berge: Er hatte sich an der Regenrinne entlanggehangelt und war am Abflußrohr hinabgeklettert. Der Polizist hinterm Haus hatte nichts bemerkt.

Ein paar Tage später blamierte sich die gefoppte Ordnungsmacht erneut. Nach einem anonymen Hinweis umzingelte ein größeres Aufgebot ein Haus in Earl's Court und verhaftete dort einen grauhaarigen, bärtigen Mann, der nicht die geringste Ähnlichkeit mit Lord Blandford hatte. Erst auf dem Revier stellte man fest, daß der Verhaftete ein gewisser Timothy Gosselin war, der dank der polizeilichen Schlappe das Abendessen verpaßt hatte.

Zehn Stunden später ging der echte Lord dann endlich in die Falle. Leicht machte er es den genervten Polizisten jedoch nicht. Er kratzte, biß und schlug wild um sich, bis es acht Beamten gelang, ihn ins Polizeiauto zu zerren. Im Pentonville-Knast erhielt der Lord seine alte Zelle, in der er 1986 wegen Drogenbesitzes bereits drei Monate verbracht hatte. Ein Jahr zuvor war er noch mit einer Geldstrafe davongekommen, nachdem er in eine Apotheke eingebrochen war. Auch für die Tracht Prügel, die er einem Polizisten verabreichte, mußte er nur hundert Pfund berappen. Sein jüngster Aufenthalt in Pentonville liegt erst zwei Jahre zurück: Damals mußte er nach seinem zwölften Verkehrsdelikt für zwei Monate einsitzen. Seitdem fährt Jamie Rad, denn mit den Taxifahrern hat er es sich auch verdorben: Er schuldet vier von ihnen noch den Fahrpreis. Das stattliche Erbe ist ihm dennoch sicher, denn Königin Anne hatte seinem Ahnen John Churchill im Jahre 1702 Schloß, Ländereien und Herzogtitel aus Dank für dessen Dienste als Feldherr vermacht. Jamie findet das „einfach wunderbar“.

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