: „Keine Illusionen“
■ Nacht der Wohnungslosen: Betroffene fordern ein Dach überm Kopf statt Sympathie-Veranstaltungen
Auf dem Gerhart-Hauptmann-Platz ist zwischen zwei Bäumen ein Transparent gespannt: „Nacht der Wohnungslosen“. Dahinter ein unordentlicher Stapel regendurchweichter Pappkisten: „Wohnungsnot? Warum? Es gibt doch Kartons“, steht darauf. Zwischen Holzbuden drängen sich neugierige Menschen. Es ist kalt und windig.
Die „Nacht der Wohnungslosen“ ist eine Sympathieveranstaltung für Obdachlose, bei der sich Theater- und Kabarett-Prominenz für eine Nacht auf die „Platte“ legt. Kritiker haben die europaweit laufende Aktion als „Schönwetter-Solidarität“ bezeichnet. Das jedenfalls brauchen sich die Veranstalter - unter anderem Mietervereine, soziale Beratungsstellen, Tagesstätten für Wohnungslose - jetzt nicht mehr nachsagen zu lassen.
Doch trotz des schlechten Wetters stehen ungefähr 200 Menschen bei der offiziellen Eröffnung durch Bischöfin Maria Jepsen vor der Bühne: „Die Hamburger Wohnungslosigkeit ist nicht gottgegeben.“ Ein Obdachloser hält sich schwankend an den Dielen der Bühne fest. Er ruft: „Danke.“ Niemand beachtet ihn, und Maria Jepsen beendet ihre Rede: „Sind wir schon eine Stadt ohne den Segen Gottes geworden?“
Die Initiativen, die mit ihren Ständen vertreten sind, sehen die Aktion als notwendig an, um in der Öffentlichkeit wieder auf das Problem der drastischen Wohnungsnot aufmerksam zu machen. „Es ist eine Werbeaktion für uns, weniger für die Betroffenen selbst“, sagt Angela Kamieniaerz, Mitarbeiterin der Tagesaufenthaltsstätte „Herz As“. Sie sieht die Veranstaltung zwar auch als „Akt der Solidarität“, macht sich aber „keine Illusionen über konkrete Auswirkungen auf die tägliche Arbeit“.
Anders Hamburgs erste Obdachlosen-Selbsthilfegruppe. Ihr Sprecher, Roland Daniel, hat konkrete Forderungen: „Abschaffung der Massenunterkünfte, Anpassung der Krankenversorgung.“ Er spricht nur kurz, denn was Obdachlose am dringendsten brauchen, ist schnell erzählt. Deshalb sagt auch Elke Graebel über die PR-Aktion: „Das wird null Effekt haben.“ Die 42jährige ehemalige Werbefachfrau lebt selbst im Hotel. Sie schlägt vor, alle 80.000 Hamburger Wohnungslose sollten in den Hungerstreik treten. „Das würde die Politiker vielleicht wachrütteln.“
Torsten Schubert
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