: Unumstrittene, völkerrechtliche Normen
■ Betr.: "Bosnien und die deutsche Politik", taz vom 21.6.93
betr.: „Bosnien und die deutsche Politik“ (Gegen eine Geschichtsklitterung für durchsichtige Zwecke) von Erich Rathfelder, taz vom 21.6.93
[...] Meiner Ansicht nach kommt in dem Artikel ein wichtiger Aspekt zu kurz. Izetbegović hat in der Vergangenheit und auch jetzt immer wieder von der UNO verlangt, entweder militärisch einzugreifen, oder das Waffenembargo gegen Bosnien-Herzegowina aufzuheben. Was soll man zu dieser Forderung sagen?
Dazu kurz die Vorgeschichte: Das Waffenembargo wurde am 25. September 1991 vom Sicherheitsrat gegen die Volksrepublik Jugoslawien verhängt. Ein Embargo ist eine Sanktion, die einer Rechtfertigung bedarf – anderenfalls ist sie völkerrechtswidrig. Gerechtfertigt ist ein Embargo gegen einen Staat, der durch eine Angriffshandlung den Frieden bedroht. Natürlich ist ein Waffenembargo auch dann gerechtfertigt, wenn dies der Staat, gegen das es sich richtet, gewünscht hat, etwa damit keine Waffen in die Hände von Bürgerkriesparteien in seinem Land gelangen. Letzteres war hier der Fall. Das Embargo erfolgte auf Wunsch des jugoslawischen Vertreters im Sicherheitsrat.
Seitdem Slowenien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina als Staaten anerkannt und Mitglied der UNO sind, richtet sich das Waffenembargo aber auch gegen Staaten, die ihm nie zugestimmt haben. Das Waffenembargo kann ihnen gegenüber nur aufrecht erhalten werden, wenn dafür ein anderer Rechtfertigungsgrund bestände. Einen solchen gibt es gegenüber Bosnien-Herzegowina aber nicht. Bosnien-Herzegowina hat keinen seiner Nachbarstaaten angegriffen. Rest-Jugoslawien hat demgegenüber dadurch, daß es die bosnischen Serben um Karadžić bei ihrem Aufstand gegen die bosnische Zentralregierung massiv mit Waffen und Soldaten unterstützte, einen bewaffneten Angriff geführt, gegen den der Staat Bosnien-Herzegowina berechtigt ist, sein Selbstverteidigungsrecht auszuüben. Es handelt sich hierbei um eine der wenigen eindeutigen und unumstrittenen völkerrechtlichen Normen.
Art. 51 der VN-Charta bestimmt: „Diese Charta beeinträchtigt im Falle eines bewaffneten Angriffes gegen ein Mitglied der VN keineswegs das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung, bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat.“ Solange dies nicht geschehen ist, ist das Waffenembargo gegen Bosnien-Herzegowina völkerrechtswidrig. In dem Jugoslawienkonflikt mag vieles kompliziert sein und das Verhalten der Staatengemeinschaft deshalb entschuldigen. Dies ist aber einfach und läßt sich nicht entschuldigen. Martin Leder, Berlin
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