: Berlin am Wasser
Berlin hat mehr Brücken als Venedig, heißt es. 2.000 sind es vermutlich, und einige sind in einem Bildband alter Fotografien wiederzuerkennen ■ Petra Brändle
Berlin putzt sich, Berlin poliert sich. Kräne recken sich tatendurstig in die Höhe, während sich die Stadtmitte, zum Identifikationszentrum aller Deutschen erhoben, mit einem Schloß behängt – wenn auch nur aus Plastik. Drüben grüßt mächtig und prächtig der wiedereröffnete Dom. Ein Schandfleck hie und da zwar – aber auch dies läßt sich aus der Straßenkarte ausradieren. Politisch Mutwillige streuen dementsprechende Asbestberichte. Irgendwann einmal wird der Palast der einstigen Republik seinem stolzen Nachbarn nicht mehr als Spiegel dienen, irgendwann wird er keine Antwort mehr geben: „Spieglein, Spieglein...“ hallt es dann ungehört den Spreekanal hinunter, unter der Liebknechtbrücke, auch unter der Rathausbrücke und der Mühlendammbrücke hindurch, immer weiter. Doch heute dehnt sich die Stadt in wohligem Sonnenschein. Noch hat sie Nachsicht mit ihren Schattenseiten, und noch blitzt der Dom im Angesicht des Palastes. Oder ist es ein letztes Kräfteschöpfen vor dem Großreinemachen? Die „Stolzenberg“ schiebt sich mit einer Ladung Touristen behäbig am Dom vorbei unter der Friedrichsbrücke hindurch. Hauptstadtbegehung. Und Spurensuche. Eine Suche nach den Überbleibseln eines Berlins am Wasser, wie es die Fotografen zwischen 1857 und 1934 abgelichtet haben. Ein dichtes Grün schirmt die Nationalgalerie hinter der Friedrichsbrücke heute vom Ufer ab, dort wo einst ein weitläufiger, attisch anmutender Säulengang die Nationalgalerie umzingelte.
„Brücken, Brücken, nischt wie Brücken“, heißt es auf dem hinteren Umschlagbild des Fotobandes „Berlin am Wasser“, Brücken und ein „bißchen“ mehr haben die Fotografen – darunter Leopold Ahrendts, die Gebrüder Haeckel, Max Missmann und die Hof-Fotografen Herrmann Rückwardt und Friedrich Albert Schwartz – zu dieser Zeit gesehen. Es sind Bilder, die vom Prunk der Kaiserstadt zeugen, Bilder mit einer tiefen Ruhe, Bilder, auf denen nur selten verhuschte Schatten (von der langen Belichtungszeit geschaffen) vom schnellen Großstadtleben erzählen. Die Menschen, die die Straßen- und Brückenszenen von Missmann und Rückwardt bevölkern, scheinen zu leblosen Figuren erstarrt, sie sind nicht mehr als Spielzeugfiguren vor einer mächtigen Kulisse. Alles scheint so rein, so klar. Dank der nachhelfenden Arbeit des Fotografen. Retuschen oder Abdeckarbeiten lassen unruhige Wolken verschwinden, selbst das Wasser ist – durch sehr lange Belichtungszeiten – glatt, die Spiegelungen allerdings seltsam unwirklich, verschwommen. Nichts lenkt ab von der Architektur, zum Beispiel von der durchkomponierten Stadtmitte mit dem Schloß, dem Kaiserdenkmal (Wilhelm I.), dem Zeughaus oder der Bauakademie.
Wir aber treiben dahin, vorbei an Schmuckstücken und am Bodemuseum. Am Ufer rankt Efeu, alles sieht ein bißchen so aus, als wären wir an einem märchenhaften, vielleicht verwunschenen Ort. „Fuck you“ tönt es vom Ufer. Es melden sich die zu Wort, die sich von den Touristen und vom leiernden Ton der Kunsthistorikerin an Bord gestört fühlen. Berlin. Tote Fische treiben vor der Weidendammbrücke, auch das Haus des Berliner Ensembles hat schon bessere Zeiten gesehen, damals als noch das Hotel New York und das Restaurant Venezia benachbart waren. Ein Akkordeonspieler improvisiert Berliner Melodien unter der Eisenbahnbrücke.
Das Resultat des Berliner Brückenbaus, der um das Jahr 1200 mit einem simplen Knüppeldamm über die Spreearme begann, ist heute nicht mehr zu überschauen. Rund 2.000 Brücken, mehr als Venedig aufweisen kann, schlagen hier ihre Bögen über diverse Wasserstraßen, Flüsse, Bäche und Kanäle. Angeblich ist Berlin sogar die brückenreichste Stadt Europas. 60 der Berliner Brücken unterqueren wir auf unserer Schiffstour, mal sind sie düster, gleichen fast einem Tunnel, stellen ihren tristen Betonunterbau zur Schau oder zeigen ihre Wunden vom feuchten Leben am Wasser, so wie die Wiener Brücke, die tot und rostzerfressen in den ehemaligen Ostteil der Stadt führt. Die Brücken haben filigrane Eisenkonstruktionen, ziegelrote Torbögen und Turmruinen wie die Oberbaumbrücke, prätentiöse Steinreliefs oder sind ganz einfach nüchterne Betonkonstruktionen, über die sich der Autoverkehr, beispielsweise der Potsdamer Straße wälzt, ohne sich der Brücke bewußt zu sein.
Berlin, ein Klein-Amsterdam, ein Spree-Athen, ja gar ein Klein- Venedig? Im Buch werden diese erbärmlichen Vergleiche munter aufgepäppelt, gilt es doch, die Hauptstadt aufzupäppeln, ihre Geschichte zu mystifizieren, das heißt ihr einen K.u.k.-Glanz zu verleihen. Freilich ist es interessant, zu erfahren, daß General von Pfuel in der Spree, dort wo noch heute die nach ihm benannte Pfuelstraße liegt, eine Flußbadeanstalt für das Militär und Zivilisten errichten ließ, und daß dort auch das Brustschwimmen erfunden wurde. Viel zu lesen ist auch von dem kaiserlichen Vergnügen an der Schifffahrt, die „die Berliner“ schon immer mit ihm teilten. Geschichten um und vom Wasser, den Wasserfreuden und auch von den Überschwemmungen (ein bißchen Grusel muß schon sein!).
Nichts jedoch von der Geschichte der Rosa L., für deren Ende doch just in dieser Zeit der Landwehrkanal herhalten mußte, nichts vom Berlin Franz Biberkopfs, ein Berlin der Wuchermieten, der Arbeitslosen, der Kranken. Eine Stadt jener, die in einem feuchten Loch irgendwo am Wasser hausten. Davon spricht der Herausgeber nicht. Allenfalls manche Fotos tun's, wenn man nur lange genug hinschaut. Ein anderes: Unbegründet endet der Fotoband im Jahre 1934. Warum? Warum nicht 33 oder 39, oder gar 45? Brückenperspektivisch wahrscheinlich nicht uninteressant.
So aber gewinnt man den Eindruck, als hätte Berlin ab 1934 plötzlich nicht mehr am Wasser gelegen.
Seit kurzem liegt Berlin wieder am Wasser
Erstheute, im Zuge der Olympia- Vorbereitung, liegt es wieder am Wasser. Unvermutet schlägt Herausgeber Mauter den Bogen in die Zukunft, redet der Olympia GmbH (und deren vierjährigem Kulturprogramm mit den Leitthemen „Feuer, Erde, Wasser und Luft“) nach dem Mund und kürt Berlins Gewässer zur „Wasserstraße zur Kultur“: „Eine übergreifende Inszenierung aller Wassersegmente der vorolympischen Festivals verbindet das gesamte kulturelle Potential der Stadt zu einem großen Kulturfestival.“
Das mußte offensichtlich einmal gesagt werden. Um im Bilde zu bleiben: Wie gut, daß sich die Geschichtsbeschöniger in Heiliger Allianz mit den Olympia-Fanatikern selbst das Wasser abgraben: Sydney hat nun mal den größten Naturhafen der Welt, viel mehr Wasser und gewiß mehr Brücken. Aus eigener Erfahrung.
„Berlin am Wasser“. Fotografien 1857–1934. Hrsg.: Jost Hansen und Horst Mauter. Argon, Berlin, 1993. 68 DM. Nach Selbstauskünften nicht von der Olympia GmbH gesponsert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen