: Die Schubladen des Lebens aufbrechen
Serie: Umland-Utopien (siebte Folge): In Babe verwirklicht das Projekt „lebensART“ ein ganzheitliches Konzept des Lebens: die Existenz der Menschen sichern, Kunst machen und Toleranz lernen ■ Von Gerd Nowakowski
Das Häuschen steht am Rande des verwilderten Gutsparks und hat die Ausmaße eines Klos. Auf dem Schild über der Tür steht „Museum“. An den Wänden und auf einem kleinen Podest in dem knapp einen Quadratmeter großen Raum hängen und liegen Fotos, finden sich skurrile kleine Geschichten wie die über einen sagenhaften Waldmenschen. Das Örtchen, in dem die Wirklichkeit mit kleinen Flunkereien augenzwinkernd verrückt wird, ist eine „Außenstelle“ des „Heimatmuseums der Lügengeschichten“ von Reinhard Zabka.
In seinem Museum verbindet der Künstler, dessen „Geschichtsfälscherwerkstatt“ bis 1976 zurückgeht, märkische Mythen wie die Sage vom nicht verwesenden Ritter Kahlbutz mit den unfreiwilligen Absurditäten einer untergegangenen realsozialistischen Wirklichkeit. Es ist eine der Einrichtungen, die man in einem verlorenen Ort wie Babe nicht erwartet. Zugleich ist sie exemplarisch für das im Dorf überall spürbare Bemühen, die Zwangsjacke der Realität abzustreifen.
Als Frank und Ute Wallrodt 1980 von Ost-Berlin nach Babe übersiedelten, hatten sie ein simples Motiv: Sie suchten ein unbeobachtetes Eckchen und wollten einfach nur in Ruhe gelassen werden. Da schien das inmitten des romantischen Rhin-Luchs gelegene Babe, dieses verschlafene Nest mit seinen knapp siebzig Einwohnern, gerade das Richtige zu sein.
Der westlich von Berlin, nicht weit von Kyritz entfernt gelegene Ort, aufgegeben von den zentralisierungswütigen DDR-Bürokraten, ohne „Konsum“ und ohne Schule, bot andererseits genau den Freiraum, von dem die beiden und einige andere Künstler träumten. „Ohne die Wende“, da ist sich die rothaarige, sommersprossige Ute sicher, „hätten wir noch ewig so dahingelebt.“
Paradoxerweise war es nach dem Ende der DDR gerade die materielle Not, der Verlust der Arbeitsplätze der Bauern nach dem Zusammenbruch der LPGs, die den Rückzug in die private und künstlerische Idylle aufbrechen ließ. Die düstere Perspektive der Landarbeiter gab den entscheidenden Impuls, das Konzept eines ganzheitlichen Lebens, bei dem die handwerkliche neben der künstlerischen Arbeit den selben Wert hat, in einem größeren Projekt umzusetzen. Und vor allem: neue Verdienstmöglichkeiten zu suchen. „Erst wenn du überleben kannst, kannst du dir Gedanken machen, wie du leben willst“, glaubt die immer noch heftig berlinernde Ute. Sie umreißt damit auch das Ziel von „lebensART“: die Kunst des Lebens mit dem Leben für die Kunst zu verbinden.
Die materielle Grundlage für ein neue Zukunft des verwunschen anmutenden Dorfes nahe eines Naturschutzgebiets hat „lebensART“ mit der Landwirtschaft gelegt. Auf rund 200 Hektar hat sich der 1990 gegründete Verein insbesondere der Erhaltung von Haustierrassen gewidmet, die vom Aussterben bedroht sind: Unter den fast tausend Tieren gibt es 850 Schafe, darunter Kärntner Brillenschafe oder Wallachenschafe. Deren Wolle soll im Ort verarbeitet werden. Daneben gibt es „Angler- Sattelschweine“, die naturgerecht im Freien gehalten werden, oder auch ungarische Steppenrinder und urige Kaltblutpferde.
Vierzig Menschen haben hier – vorerst auf ABM-Basis – bereits Arbeit gefunden; in wenigen Wochen werden zwanzig weitere Stellen eingerichtet. Alsbald soll das große Schauzentrum eingeweiht werden und dann Besucher anziehen: Die Gehege und offenen Ställe für die verschiedenen Tierarten sind schon fertig. Doch noch muß der gesamte Eingangsbereich mit einem Café errichtet werden. Auch am Ententeich wird derzeit noch gebaut.
Im Ortskern steht das alte Gutshaus am höchsten Punkt des großen Dorfangers mit seinen alten Bäumen. Auch für einen bautechnisch nicht Versierten sind die schweren Schäden des alten Gebäudes auf einen Blick zu erkennen. In DDR-Zeiten hat es lange leergestanden und war der Witterung preisgegeben. Inzwischen hat es „lebensART“ gekauft. Noch sind erst einige Räume provisorisch hergerichet; einen Seminarraum gibt es und ein Spielzimmer für die Kinder des Dorfes ebenfalls.
Das Gutshaus wird links und rechts flankiert von zwei kleinen Gebäuden. Eines ist ein neu gebauter Tee-Pavillon, der im Sommer bewirtschaftet wird. Rechts vom Gutshaus ist ein traditionelles Backhaus errichtet worden. Es habe die Dorfbewohner enger zusammengebracht, daß in dem Lehmbau jetzt regelmäßig gemeinsam Brot und Kuchen gebacken wird, erzählt Ute.
Die Kunst des Lebens und das Leben für die Kunst
Entwickelt haben sich außerdem intensive Kontakte mit verschiedenen Universitäten, insbesondere Biologen und Landschaftsplanern. Der Bau des Backhauses in historischer Lehmbauweise ist beispielsweise ein Ergebnis der Kooperation mit Studenten der Technischen Universität Berlin. Immer häufiger zieht Babe auch Besucher an, die einige Zeit bleiben wollen. Nicht alle sind so autark wie ein derzeit in Babe weilender westdeutscher Radwanderer, der seinen eigenen Wohnanhänger hinterm Radl mitschleppt. Deswegen soll eine Gästeetage im Gutshaus ausgebaut werden. Danach will man dann im größeren Umfang Seminare durchführen.
Auch in diesem Sommer werden wieder Künstler nach Babe kommen. Im vergangenen Jahr haben vierundzwanzig Aktionskünstler das Projekt „Der Wald als Mißverständnis“ gestaltet. Diesmal hat man zehn MalerInnen eingeladen, zwei Wochen im öffentlichen Raum der Dorfgemeinschaft zu arbeiten. Die Menschen der Umgebung sollen die verschieden Stufen der Vollendung miterleben und gleichzeitig „Kunst als Prozeß erleben“, sagt Ute Wallrodt. Und die Maler seien gezwungen, sich der Kritik der Bewohner zu stellen und mit ihnen zu diskutieren. Man wolle den Bauern damit vermitteln, daß man nicht Intellektueller sein muß, um Kunst zu machen. Zugleich will man die Schubladen des Lebens aufbrechen und Grenzen der Wahrnehmung überwinden helfen.
Die Vereinsmitglieder hegen außerdem die Hoffnung, daß die Menschen Toleranz lernen in der Begegnung mit den fremdartigen Menschen und Künsten. Die dreiunddreißigjährige Ute hat deshalb auch ein politisches Ziel im Auge. „Die Gegend ist sicher nicht die ausländerfreundlichste“, erzählt die Mutter von drei Kindern, „aber weil wir die Menschen zwingen, sich mit dem Fremden zu beschäftigen, passiert schon ein Angstabbau.“
Kontakt: lebensART, Hauptstraße 10, 16845 Babe
Die Serie wird am nächsten Freitag fortgesetzt.
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