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Und bewahre uns vor dem Übel!

Ein Kongreß übt das Tanzen: neue Poplinke und neue Neue Linke an einem Tisch in Köln  ■ Von Jörg Heiser

Der „Druck der Ereignisse“ von Karlsruhe über Somalia bis Solingen läßt für jene, die in linken politischen Kategorien denken, die Fortsetzung des Kulturbetriebes unter unveränderten Vorzeichen nicht mehr zu. Aber auch für eine Kapitulation ist es (hoffentlich) weiterhin viel zu früh: Kräfte sammeln heißt es für viele – auch um linke Subkulturen vor der endgültigen Erosion durch das reaktionäre Gesamtklima zu bewahren.

Der „Erste Kongreß zur Abwehr des gegenrevolutionären Übels“, der am vergangenen Wochenende im Kölner Rhenania- Zentrum stattfand, trägt die Defensive schon im Titel – aber auch ironisierende semantische Brechungen: K-Gruppen-mäßiges „gegenrevolutionär“ und theologisches „Übel“ erinnern in der elegant umständlichen Titelgebung an die glamouröse politische Ästhetik der Situationisten.

Diese Impulse, die linke Theorie und Praxis vor tödlich unattraktivem Muff bewahren können, kommen eher aus dem Reich der Popkultur (und -theorie). Gut also, daß die Veranstalter des Kongresses (der ein gut besuchtes Diskussions- und Vortragsprogramm ebenso wie Konzerte und Dancefloorshowcases umfaßte) sich sowohl aus Mitarbeitern der Musikzeitschrift Spex und Texte zur Kunst als auch der linsalternativen Kölner Stadtrevue rekrutieren. Sie firmieren unter dem Label „Wohlfahrtsausschuß“, das zuerst ein ähnlich lockerer Zusammenschluß Hamburger Musiker und politischer Aktivisten geprägt hat (siehe taz vom letzten Freitag; in Düsseldorf und Frankfurt gibt es mittlerweile auch Wohlfahrtsausschüsse). Hier arbeiten Leute zusammen, die lange Jahre in ihren jeweiligen Subkulturen getrennt vor sich hingewerkelt haben.

Dem Verdacht des „Preaching to the Converted“ – Talkshow-mäßig polarisierte Diskussionsbesetzungen waren nicht angestrebt – nahm Mark Terkessidis (Spex) bei der Eröffnungsrunde den Wind aus den Segeln: Es gehe ja gerade darum, unter den „Converted“ die Essentials in Sachen Anti-Rassismus und Anti-Nationalismus herauszuarbeiten und zum Ausgangspunkt der Analyse und Praxis zu machen.

Denn nichts sei in diesen Zeiten unter scheinbar „Gleichgesinnten“ mehr selbstverständlich: Zu viel Komplexitäten und Widersprüche sind schon in diesem Rahmen zu bewältigen, um noch – wie beim Konkret-Kongreß in Hamburg – einem Referenten den Versuch zu gestatten, einen biologistischen Rasse-Begriff für Linke diskutierbar zu machen. So war die Debatte in Köln von der Frage geprägt, wie sich solche Erosionen linker Diskurse durch rechtes Denken erklären und wie man ihnen entgegenwirken kann.

In der Einschätzung des Versuchs des Kölner Wohlfahrtsausschusses, eine Veranstaltung mit dem erklärten Antisemiten Syberberg in der Kölner Cinemathek zu stören, schien man sich überwiegend einig zu sein: der „Restituierung des Mythos als Mittel der Politik“ (Jost Müller von der ehemaligen Redaktion der Frankfurter StudentInnen-Zeitung diskus), durch die (alte) neue Kulturrechte dürfe nicht durch brav-pluralistisches Zulassen der Segen der Diskutierbarkeit erteilt werden. Wenn allerdings reaktionäre Versatzstücke in linken Diskursen selbst auftauchen, sei es falsch – so Alex Demirovic vom Frankfurter Institut für Sozialforschung –, im Stile einer „Exkommunikations-Linken“ vorzugehen; man müsse vielmehr die Widersprüche in der Diskussion herausarbeiten.

„Es sitzen nur Männer auf dem Podium, das ist richtig“ – diese in der Diskussion geäußerte, etwas betretene Feststellung zeugt von den Schwierigkeiten der Wohlfahrtausschüsse, nicht in ihren eigenen Reihen unbewußt den alltäglichen Sexismus strukturell zu perpetuieren.

Wenn Frauen vor diesem Hintergrund Rollenzuschreibungen problematisierten, so Isabelle Graw (Texte zur Kunst), seien sie auf das Anziehen des Identitätsschuhs „Frau“ zurückgeworfen – der doch allenfalls das Ausdrucksmittel einer gemeinsamen Unterdrückungserfahrung sein soll und nicht die Festschreibung einer Differenz nach dem Muster „Frauen führen anders“.

Sabine Grimm (ehemals Redaktion diskus) referierte über den Konnex Sexismus/Rassismus und machte dabei klar, daß ein Anti- Rassist ohne Interesse an feministischer Theorie Gefahr laufe, beispielsweise die sexuelle Überdeterminierung rassistischer Diskurse zu verkennen, die unter anderem auch der ideologischen Zementierung der Reproduktionseinheit „bürgerliche Kleinfamilie“ dient.

Noch steht in der Durchführung eines solchen Kongresses der „Kulturteil“ mit seiner Underground-Ästhetik etwas unvermittelt neben dem universitär anmutenden Diskussionsteil, wie auch der holländische Medientheoretiker Geert Lovink kritisierte. Die Linke müsse „die Gutenberg-Galaxis“ verlassen und zur formalen Inszenierung ihrer Arbeit die Möglichkeiten neuer Medien mehr nutzen (seine Vorschläge gingen von der Nutzung intermedialer Medien bei solchen Veranstaltungen bis zur Idee, Camcorder an Flüchtlinge zu verteilen, um ihnen die Dokumentation etwaiger Angriffe zu ermöglichen).

Um die ästhetische Wirkkraft zur Sichtbarmachung linker Politik entspann sich eine „Strategie-Debatte“: Verschiedene Diskutanten verwiesen auf die Notwendigkeit, die mediale Darstellung politischer Aktionen von vornherein miteinzukalkulieren, was nicht im Sinne einer Abschwächung der politischen Inhalte zu verstehen sei. Eine ästhetische Zuspitzung soll vielmehr dem glatten Ablauf der indifferenten Darstellung in den Medien einen „diskursiven Schluckauf“ (Klaus Schönberger vom Autonomen Zentrum Marbach) bereiten. Andere Äußerungen ließen Zweifel daran erkennen, ob ein solches Vorgehen nicht doch entweder wirkungslos bleibt oder mit der Abschwächung der politischen Inhalte erkauft wird.

Ob die Musik (vorwiegend Hamburger Undergroundbands) die Fortsetzung des Diskurses mit anderen Mitteln ist und ob sie die ästhetischen Techniken zur Schluckauf-Verursachung bereitstellt, konnte man schwerlich an den Auftritten der Bands selbst ablesen – dafür hätte es eher noch einer weiteren Diskussion bedurft. Immerhin wies Bernd Begemann in seinen idiosynkratischen Popsongs auf den Zusammenhang von Faschismus und Abendbrotzubereitung hin, und die Goldenen Zitronen rockten das Haus, ohne die „80 Millionen Hooligans“ (Songtitel) zu vergessen, die nicht einmal alle persönlich zündeln und morden müssen, um den Vormarsch des Völkischen zu begünstigen.

Für die Zukunft der Wohlfahrtsausschüsse ist sicherlich entscheidend, wie weit das in den popkulturellen Diskursen erworbene Wissen um die ästhetische Dimension linker Emanzipationsbemühungen umgesetzt werden kann, um über den engeren Zusammenhang der Subkulturen hinaus Anziehungskraft auszuüben. Und das hieße auch, den Massenmedien den einen oder anderen „Wohlschuß“, wie eine schöne Fehlleistungsäußerung auf dem Podium lautete, zu versetzen.

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