: Marmelade mit Pelzbesatz
■ Schimmel ist giftig wie Strychnin, aber Ausschneiden hilft
Draußen wird es warm, die Schimmelsporen fliegen und die Marmelade zieht den weißen Pelz an. Schimmelpilze sind überall, in jedem Haushalt vergammelt mal ein Stück Brot. Das ist nicht weiter schlimm, heißt es vom Hauptgesundheitsamt (HGA) in Bremen — obwohl der Schimmelpilz hochgiftiges Aflatoxin B1 produziert.
„Zuerst einmal sind Schimmelsporen überall uns um herum“, sagt Winfried Becker, Ökotrophologe beim HGA. Bei der Produktion von Blauschimmelkäse oder ungarischer Salami sorgen Schimmelpilze sogar für die gewünschte Qualität des Lebensmittels; mit dem Penecillin spritzen wir uns Schimmelkulturen zur Infektionsbekämpfung in die Venen. Unangenehm wird Schimmel erst dann, wenn er sich unplanmäßig und ungefragt auf unseren Lebensmitteln breitmacht.
„Den Schimmel“ gibt es eigentlich nicht. Über 200 bekannte Pilzsorten aus der Familie der Schimmelpilze bilden insgesamt 80 bis 100 bekannte Gifte. Mit bloßem Auge sind die Pilzsorten kaum auseinanderzuhalten. Der bekannteste Schimmelpilz ist „Aspergillus flavus“, der das hochgiftige Aflatoxin B1 bildet: dessen Toxizität ist mit Strichnyn zu vergleichen. Es tritt aber in so geringen Mengen auf, daß eine akute Vergiftung von Menschen durch Schimmelpilze kaum vorkommt. Heimtückischer ist die Langzeitwirkung von Aflatoxin: es verursacht Leberkrebs, Mißbildungen, Mutationen und Immunstörungen beim Menschen. Zwar gibt es eine „Aflatoxin-Verordnung“, die Grenzwerte für die Belastung festsetzt, aber mit der ist Winfried Becker nicht zufrieden: „Medizinisch betrachtet gibt es für dieses Pilzgift keinen ungefährlichen Grenzwert. Schon die kleinsten Mengen sind für den Menschen bedenklich.“
„Uns geht's ja gut, wir können verschimmelte Lebensmittel ohne weiteres wegwerfen“, meint Peter Lutz von der Staatlichen Chemischen Untersuchungsanstalt Bremen, die für die Lebensmittelüberwachung zuständig ist. „In Ländern, wo die Leute hungern, ist die erste Priorität natürlich das akute Überleben.“ In tropischen Ländern führt Armut und das feucht-warme Klima häufig zum Konsum von verschimmelter Nahrung. Die Folge: eine wesentlich höhere Rate von Leberkrebs in diesen Ländern. Weltweit werden 10 Prozent der erzeugten Nahrungsmittel durch Schimmelpilzbefall vernichtet.
Was tun also gegen den Schimmelpilz in der eigenen Küche? Erstmal gegen das feuchtwarme Klima vorgehen, in dem sich die Sporen besonders wohl fühlen, rät Winfried Becker. Die Behandlung von angegammelter Nahrung ist unterschiedlich: grundsätzlich verbreitet sich der Schimmelpilz in feuchten Milieus schneller als in trockenen Lebensmitteln. Toastbrot sollte beim ersten Zeichen von Schimmel ganz weggeworfen werden, rät Winfried Becker. Bei Vollkornbrot reicht es aus, die schimmelige Stelle „großzügig auszuschneiden“, sagt Winfried Becker. Das Gleiche gilt für harten Käse. Schimmeliger Weichkäse sollte dagegen in den Müll wandern.
Das Schicksal von Konfitüren hängt von ihrem Zuckergehalt ab; bei 50prozentigem Zuckeranteil, wie er bei selbstgemachter Konfitüre üblich ist, reicht es, die schimmelige Stelle großzügig zu entfernen. Bei Süßstoff-Konfitüren sollte dagegen alles weggeworfen werden, weil kein Zucker die Verbreitung des Pilzes stoppen kann. Über verschimmelte Milch macht sich Becker keine großen Gedanken: „Die sieht so aus und riecht so, daß niemand auf den Gedanken kommt, sie zu trinken.“
Für die Lebensmittelwächter in Bremen ist Schimmel kein großes Problem, „längst nicht so wie die Salmonellen“. Peter Lutz von der Untersuchungsanstalt gibt aber zu, daß es bei der Überprüfung eine „immense Dunkelziffer“ gibt: Die Untersuchungsanstalt sieht nämlich schimmelige Lebensmittel nur, wenn ihre Prüfer beim Stichprobenziehen aus den Geschäften welche mitbringen.
Aspergillus flavus ist ein zäher Bursche: er ist hitzebeständig und kochfest, Säuern oder Einfrieren schaden ihm ebenfalls nicht, er vermehrt sich auch im Kühlschrank. Vergammeltes Brot sollte man in den Hausmüll werfen. Vor allem, warnt Becker, sollten die VerbraucherInnen mit dem schimmeligen Brot eins keinesfalls tun: Tiere füttern.
Bernhard Pötter
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