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Ein Märtyrer für die Opposition

Gestern trat der inhaftierte serbische Oppositionsführer Vuk Drašković in den Hungerstreik / Milošević sitzt fester denn ja im Sattel  ■ Aus Wien Karl Gersuny

„Ich bin entschlossen, zu sterben“, teilte Vuk Drašković, der Vorsitzende der „Serbischen Erneuerungsbewegung“ (SPO), gestern in einem „offenen Brief an das serbische Volk“ mit. Vor einem Monat war Drašković nach einer gewalttätigen Demonstration im Zusammenhang mit der Absetzung des gefallenen rest-jugoslawischen Präsidenten Dobrica Ćosić verhaftet worden. Zuvor war es in der „Skuptšina“, dem jugoslawischen Parlament, zu Zusammenstößen zwischen Abgeordneten der SPO und serbischen Nationalisten gekommen.

Wie sich die Handgreiflichkeiten auf den Parlamentsvorplatz ausweiteten und in den folgenden Stunden zu regelrechten Straßenkämpfen ausarten konnten, ist bis heute ungeklärt. Die Bilanz: Ein toter Polizist und unzählige Verletzte auf beiden Seiten.

Für das Regime des serbischen Präsidenten Slobodan Milošević jedenfalls war sofort klar, daß der „Auftraggeber zum Mord“ an dem Polizisten Milorad Nikolić nur Drašković heißen konnte. Ohne bisher Beweise vorgelegt zu haben, beharrt die Staatsanwaltschaft seit dessen Festnahme im Anschluß an die Demonstration darauf, der SPO-Vorsitzende und seine Ehefrau Danica planten den gewaltsamen Umsturz auf Belgrads Straßen. Die Mindestforderung des Regimes an die Richter lautet auf sechs Jahre Haft.

Dabei ist Drašković bisher eher durch pathetische Sprüche denn ein klares Programm aufgefallen. Allgemein kann im konfusen Parteiengestrüpp Serbiens und Montenegros nach zwei Jahren Krieg und vier Jahren Milošević-Diktatur kaum mehr jemand eine klare politische Perspektive artikulieren.

Zwar geht es allen Regimekritikern gemeinsam um die Absetzung des serbischen Präsidenten Slobodan Milošević. Doch schon an der Frage, wer an dessen Stelle treten sollte, scheiden sich die Geister. Bezüglich der Kriegsschuld in Bosnien gibt es erst recht keine Einigkeit: Vor knapp drei Jahren waren es gerade die serbischen Oppositionellen um die charismatische Kultfigur Vuk Drašković gewesen, die mit den Sprüchen von der „Einheit aller Serben“ den titoistischen Generälen die Rechtfertigung gaben, gegen die „Separatisten“ (Drašković) in Slowenien, Kroatien und Bosnien militärisch vorzugehen.

Drašković und sein damaliger Busenfreund, der radikale Freischärlerführer Vojislav Šešelj, marschierten noch 1990 gemeinsam gegen „die Agenten Deutschlands“, die auf dem Balkan ein neues „Viertes Reich“ errichten wollten. Offenbar mußten erst Zehntausende sterben, bis einem Teil der serbischen Intelligenz die Augen aufgingen:

Während Šešelj weiterhin jeden Schritt der Generäle guthieß, sich politisch gar Milošević annäherte, wandelte sich Drašković zum radikalen Pazifisten. Ein Schwenk, den ein guter Teil der Opposition so halbherzig nachvollzog, daß ihr weder in den Nachfolgestaaten Ex- Jugoslawiens noch in Europa Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Nicht ganz zu Unrecht: Gerade das Eingestehen der eigenen Schuld, des eigenen Traums von einem „größeren Serbien“, blieb bis heute innerhalb der „neuen Opposition“ ein Tabu.

Ohne Zugriff auf die Massenmedien, die die regierende „Sozialistische Partei" völlig kontrollieren, blieb der serbischen Bevölkerung zudem der oppositionelle Sinneswandel weitgehend verborgen. Die SerbInnen nahmen die wenigen mahnenden Stimmen wohl auch aufgrund der Landgewinne auf den Schlachtfeldern Kroatiens und Bosniens wenig ernst. Gerade auf dem flachen Land ist die Euphorie über „Großserbien“ ungebrochen, Versorgungs-Engpässe werden durch Agrar-Eigenproduktion überbrückt. Das oppositionelle Potential bilden Industrieproletariat und die Jugend in der Zwei-Millionen-Metropole Belgrad, wo Krieg und UN-Embargo zu einer bis dato unbekannten Massenverarmung geführt haben.

Im montenegrinischen Wochenblatt Monitor reflektiert Dragan Veselinov, Vorsitzender der winzigen „Bauernpartei“, mit tiefem Pessimismus die Lage der serbischen Opposition und kommt zu dem Schluß: „Sie ist tot.“

Schuld gibt der ehemalige Hochschuldozent auch dem Westen. Da Europa die Entwicklung auf dem Balkan sich selbst überlasse, sei kritischen Geistern keine Chance gegeben, das Milošević-Regime zu stürzen. Seine Prophezeiung: „Ist in Bosnien die Arbeit erst mal beendet, die Aufteilung des Landes abgeschlossen, so hat Milošević freie Hand im Kosovo.“

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