: Isolationismus und Einzelgängertum
■ "Der zerbrochene Spiegel" in Wien: Positionen zur Malerei als ein neuer Beitrag zur Stilgeschichte des Ausstellungswesens
Zwischen dem Geburtsjahr des ältesten und der jüngsten Künstlerin liegen zweiundfünfzig Jahre; trotzdem gibt es keine Altersprobleme in der Wiener Ausstellung aktueller Kunst. Sie zeigt fast ausschließlich Gemälde der achtziger und neunziger Jahre. Im Katalog sind die Künstlermonographien chronologisch geordnet, damit desto deutlicher wird, daß Generationsfragen keinen Einfluß haben, wenn es um Gegenwartskunst geht.
Den Bildern von Maria Lassnig und Leon Golub sieht man tatsächlich nicht an, daß beide der „École de Paris“-Generation angehören, und die ist schon längst in den Musentempel entrückt. Beide aber hatten ihre großen Auftritte in den vergangenen fünfzehn Jahren, mit documenta-Teilnahme und Einladung zur Biennale von Venedig (Lassnig). Lassnig schachtelt mit lapidarer Malweise Farbebenen in- und übereinander. Golub malt dunkle, dreckige Mauern mit sinnlosen Graffiti „ARE YOU READY for JESUS?“ – wer fragt da wen?
So unterschiedlich wie diese Werke sind auch die übrigen. Eine Serie von Selbstportraits Philip Akkermans erinnert an Cindy Shermans Fotoserien, allerdings als Kontrast. Akkerman versucht, „zu ,mir selbst‘ zu finden“. In jeder Verkleidung und durch alle maltechnischen Variationen hindurch sucht er die Ähnlichkeit der Bildnisse. Jan Knap persifliert die christliche Ikonographie und versetzt die heilige Familie in Trivialidyllen. Ein Raum mit grauen monochromen Tafeln von Agnes Martin knüpft an die Rezeptionsästhetik amerikanischer Colour Paintings der 50er Jahre an. Sigmar Polke erweitert in seinen honigfarbenen Transparentgemälden das Bild bis hinter den Malgrund. Während Britta Huttenlocher mit fiktiven Landschaftsassoziationen eine aktive Betrachtung ihrer Bilder begünstigt, legt die illusionistische Malerei von Lisa Milroy die Sehweise der Betrachtenden fest.
Die Reihe der Skizzierungen ließe sich lange fortsetzen. Es ist kaum möglich, Hervorhebungen und Nicht-Nennungen zu begründen. Die Kunst ist ein langer ruhiger Fluß.
Ungetrübtes Vergnügen also verschafft die Wiener Preziosenschau mit dem splitterspitzen Titel. Zwei Ausstellungsmacher, Kasper König (prominent) und Hans- Ulrich Obrist (jung) durften nach ihrem Gusto die weiten Säle bespielen, die im Messepalast und dem Container der Kunsthalle zu Wien eingerichtet wurden. Und sie bewiesen Geschmack. Weshalb sie nur diesen walten ließen und konzeptuelle Erklärungen vermieden, ist einer grundsätzlichen These Paul Virilios zu entnehmen, die das Motto der Ausstellung lieferte: „Das heißt, daß alles, was zuvor dazu diente, sich ein Bild zu machen, der gesamte öffentliche Blick der Vergangenheit, im Moment ausgehöhlt, entleert wird. Und einen neuen öffentlichen Blick hat man noch nicht geschaffen. Der Blick ist zerbrochen wie ein Glas. Man ist sich dessen, was man sieht, nicht mehr sicher.“ Da gibt es nichts zu kitten, und es ist sicher richtig, die permanente ästhetische Irritation nicht durch künstliche Fixierungen zu verkleistern.
Als wenn es doch ein Mittel gäbe, der Gegenwartskunst Festigkeit zu verschaffen, bieten König und Obrist ihre Lösung an. Sie greifen weit zurück und zitieren die Salonausstellungen des 19. Jahrhunderts. Die daraus entstandene klassische Ausstellungsform bringe die Kunst am besten zur Geltung. Sie wird beschworen. Malerei pur ist das Rezept. Im Gegensatz zu den theatralischen Kunst-Shows der vergangenen Jahre ziehen sich die Werke zurück an die Wand. Sie bleiben ungestört auch von der einzigen ephemeren Installation, einem graugestrichenen Pfeiler von Daniel Walravens. Die Hängung vermeidet möglichst jede Hierarchisierung. Tageslicht, große Räume und weite Wandabstände sind die Kriterien, die die Kuratoren forderten. So sind alle Gemälde gut beleuchtet und behelligen einander nicht. Ihnen allen ist neben ihrer Aktualität nur das Mittel der Malerei gemein. Sorgsam werden Zusammenhänge und -hängungen vermieden. Damit wird ein neues Künstlerbild beschworen, das König und Obrist wohl gerne zum neuen Paradigma erklären möchten: die Zeit der Gruppenbildungen und Stile ist erst einmal vorbei, es leben die EinzelgängerInnen. Gegen diese Einstellung nehmen sich die Bewegung der Avantgarde und die „jungen Wilden“ aus wie ein verschworener Geheimbund.
Es ist nicht zu erwarten, daß diese solipsistische Tendenz von historischer Dauer sein wird. Die Wiener Exposition mit ihrem Gegenwartsmuseum zeigt zwar, daß eine isolationistische Ausstellungskonzeption ein schönes Erlebnis vermitteln kann, doch wird sie kaum das kulturelle Grundbedürfnis nach Kombination und Kontrastierung bremsen. Christoph Danelzik
Ausstellung: Der zerbrochene Spiegel. Wien: Museumsquartier/ Messepalast und Kunsthalle, bis 25.7.93. Hamburg: Deichtorhallen, 14.10.93 bis 2.1.94, Katalog: 280 ÖS
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